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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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bezahlt mit Steuergeldern.
    Kaum jemand von den jungen Leuten hat sich beim Jobcenter erkundigt, was dieser Kurs kostet. Warum auch? Es zahlt ja der Staat. Folglich weiß niemand auf meine Nachfrage hin, wie viel das Jobcenter in die persönliche Selbstfindungsreise investiert, was der Steuerzahler also dafür ausgeben muss. Nur eine räumt ein, sie hätte mal gefragt, die Fallmanagerin habe ihr aber entgegnet, darüber müsse sie sich keine Gedanken machen. Das brauche sie nicht zu wissen. Die Mittel seien ja da und müssten nur abgerufen werden.
    Eine nicht nachvollziehbare Haltung, die die Selbstbedienungsmentalität nur noch weiter fördert. Denn warum sollten sich die Kursteilnehmer anstrengen, wenn ihnen das Gefühl vermittelt wird, das sei alles für »lau« zu haben, niemand ihnen erklärt, dass erst die Arbeitsleistung anderer ein breites Kursangebot ermöglicht. Ergo werden die jungen Leute auch nicht verpflichtet, alles zu tun, um mithilfe der »Coachs« und Sozialpädagogen möglichst schnell eine berufliche Perspektive zu finden und aus der Daueralimentation herauszukommen.
    Etwa 30 Kurse dieser Art werden bundesweit angeboten – von Rostock bis zum Bodensee –, mit jeweils 20 Teilnehmern. Zusätzlich gibt es ein Bewerbungstraining. Alle würden speziell gecoacht und es werde intensiv am individuellen Profil gefeilt, versichern die Betreuer. Ich frage die Leiterin des Anbieters Projektfabrik JobAct: »Wieso müssen junge Leute, die nicht so richtig wissen, was sie wollen, ausgerechnet Theater spielen?« Und sie erklärt mir: »Theater bietet eine Plattform, kreativ tätig zu werden, und zwar in so vielen Bereichen, die eigentlich nur das Theater berührt. Hier wird gesungen. Man kann tanzen. Es wird ein Stück entwickelt und auch choreografisch gearbeitet. Es hat viel mit Sprechen zu tun. Deutlich sprechen.«
    Eigentlich hatte ich nicht den Eindruck, dass die Teilnehmer nicht gut reden könnten. Klar artikulieren sie ihre Interessen – jedenfalls geben sie unmissverständlich zu verstehen, was sie nicht wollen, nämlich in einem Supermarkt Kisten einräumen, Teil eines ausbeuterischen Systems werden, das sie auch noch zwingt, jeden Tag um sieben oder acht Uhr irgendwo anzutanzen und einen Arbeitstag durchzuhalten. Viele von ihnen sind bereits am ganz normalen Arbeitsalltag, wie ihn jeden Tag Millionen von Arbeitnehmern erleben und bewältigen, gescheitert, haben ihre Berufsausbildung abgebrochen oder ihren Ausbildungsplatz vorzeitig verlassen. Deswegen sollen sie hier und jetzt auch lernen, pünktlich zu kommen und durchzuhalten. Somit wird dieser Aspekt in den Prospekten aller Maßnahmen- und Bildungsträger stets besonders betont: der Erwerb sozialer Kompetenz. Was heißt nicht loszubrüllen, wenn einem etwas nicht passt, sich in eine Gruppe einzufügen und mal das zu tun, was von der Gemeinschaft, in und von der man lebt, erwartet wird.
    Das gelingt in Maßen. Der Regisseur habe sein Stück, erzählt er, schon sechsmal umgeschrieben und die Rollen neu besetzt, weil manche Teilnehmer einfach weggeblieben oder tagelang nicht erschienen seien. Er habe im Laufe eines Jahres schon alle Ausreden fürs Zu-spät- und Nicht-Kommen gehört: angefangen von »mein Wecker funktionierte nicht« bis »ich hab mein Handy gestern irgendwo liegenlassen. Deswegen bin ich heute Morgen nicht aufgewacht.« Oder: »Ich habe den Zug, den Bus, die Bahn verpasst.« Gemeldet werden solche »Ausrutscher« dem Jobcenter nur selten. Schließlich seien das ja alles junge Leute, sagt der Regisseur entschuldigend, auf dem Weg zu sich selbst, aus schwierigen Verhältnissen, denen noch nie jemand beigebracht habe, pünktlich und verlässlich zu sein. Da müsse man doch Verständnis haben, Nachsicht zeigen. Das werde schon.
    Er kratzt sich am Kopf, während vorne auf der Bühne Beleuchter Licht setzen, Tontechniker Hörproben machen, die Regieassistentin alle um Konzentration bittet: »Ich musste mal eine ganze Rolle neu besetzen, weil einer von den Teilnehmern auf Sizilien weilte. Er hatte sich drei Tage Urlaub genommen und dann den Flug zurück verpasst.« Der Regisseur lacht. Er findet das reichlich komisch. Von Konsequenz und Sanktionen ist nicht die Rede. Auch hier mutiert der Kurs zum Lebenshilfeunterricht. Die Frage ist, ob nicht die klare Ansage sinnvoll wäre, dass die Unterstützung entfällt, falls ein Teilnehmer zu erkennen gibt, nicht mehr mitmachen zu wollen. Würde das nicht zu weit besseren Ergebnissen und überhaupt

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