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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bekommen. So lautete die Vereinbarung.
    Kurz nachdem die Hartz-IV-Reformen 2005 eingeführt wurden, wollten wir die Probe aufs Exempel machen. Als arbeitsfähig eingestufte Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose sollten mobil gemacht werden. Ob das dem Jobcenter wirklich gelingen würde? Wir, in der Redaktion Dokumentation und Reportage im NDR, waren skeptisch und beschlossen, einer Fallmanagerin bei der Arbeit zuzusehen. Es wurden in der Redaktion schon Wetten abgeschlossen. Die meisten waren sicher, es werde bestimmt nicht klappen, die Arbeitslosen zu mobilisieren. Es gebe ja gar nicht genug Arbeit. Und überhaupt, das System Jobcenter sei viel zu unbeweglich. Wir legten die Kriterien fest: Wie sollten die »Fälle« aussehen, die wir über ein halbes Jahr begleiten wollten? Wir fanden es unfair, von vornherein schwer vermittelbare oder aussichtslose Fälle zu porträtieren und sich dann hinterher in die Brust zu werfen, nach dem Motto: Das war ja klar, das konnte ja gar nicht funktionieren. Also: Männern Ende 50, die schon morgens angetrunken in der Jobagentur ankommen, denen man ansieht, dass sie sich schon länger nicht mehr gewaschen und rasiert haben, wollten wir nicht auf der Spur bleiben. Wir legten fest, Arbeitslose zwischen Ende 20 und Mitte 40 auf ihrer Suche nach Arbeit zu begleiten, die möglichst auch einen Beruf gelernt haben. In Winsen an der Luhe zum Beispiel. Dort sollte Angelika Brauer mit drei Mitarbeitern von der Jobagentur 1200 Arbeitslose und als arbeitsfähig eingestufte Sozialhilfeempfänger mobil machen. Angelika Brauer, eine von 4000 Fallmanagern im Bundesgebiet, sollte zeigen: Deutschland bewegt sich. Das war der Beginn der Großoffensive »Hartz IV«.
    Im Jobcenter Winsen an der Luhe klappten wir also für ein halbes Jahr unser Stativ auf. Zunächst lud Angelika Brauer 180 ihrer Kunden zu einer Informationsveranstaltung ein. Sehr optimistisch schien sie uns nicht, vielleicht aber auch nur realistisch? »Ich würde mich freuen, wenn von diesen 180 Eingeladenen 100 erscheinen«, verriet sie uns zu Beginn. »Das wäre etwas mehr als die Hälfte derer, die wir eingeladen haben. Darüber würden wir uns sehr freuen.« Warum sie nicht erwartete, dass alle kommen würden, darüber schwieg sie sich erst mal aus.
    Vier Wochen später. Die Jobagentur hat sogar die Stadthalle in Winsen angemietet, um den erwarteten großen Ansturm bewältigen zu können. Lange Gesichter bei den Mitarbeitern des Jobcenters, als sich gerade mal 50 Menschen in dem riesigen Raum verlieren, wo sonst der Schützenball, die Stadtmessen oder Konzerte stattfinden. Zunächst hat Angelika Brauer sogenannte Ein-Euro-Jobs zu bieten, und zwar in gemeinnützigen Einrichtungen. Maximal 20 Stunden pro Woche, über ein halbes Jahr, um Langzeitarbeitslose wieder an regelmäßiges Aufstehen, einen geregelten Arbeitstag zu gewöhnen. »Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten und Tätigkeiten beim Landkreis oder der Stadt«, wirbt Angelika Brauer: »Sie können in Schulen und Kindergärten helfen, beispielsweise Spielgeräte auf Kinderspielplätzen in Ordnung halten, in Seniorenheimen alten Menschen etwas vorlesen oder mit ihnen spazierengehen, kleine Besorgungen für sie machen. Es ist für jeden von Ihnen eine kleine Chance, einen Fuß wieder in die Türe zu bekommen.« Dafür würden 80 Euro im Monat gezahlt, zusätzlich zum Arbeitslosengeld II. Trotzdem: Die meisten sind nicht begeistert. »Früher habe ich gut verdient, und jetzt soll ich für einen Euro arbeiten? Ich denke nicht daran.« – »Ich mache das bestimmt nicht«, schimpft Herr I. aus der Türkei. »Ich bin schließlich von Beruf Lagerarbeiter, habe einen Staplerschein und einen Führerschein.«
    Aber nicht alle sind ablehnend eingestellt. Vielleicht führe so ein Job doch mal in ein festes Arbeitsverhältnis, mutmaßt einer. Er wolle es sich überlegen mit dem Ein-Euro-Job. Eine junge Frau, Anfang 20, ist seit ihrem Hauptschulabschluss arbeitslos. »Was haben Sie denn seitdem gemacht?«, will ich wissen. »Gar nichts«, lautet die simple Antwort.
    Solche Entgegnungen diskutierten wir im Team noch lange nach Drehschluss und fragten uns, wie es möglich sei, dass ein junger Mensch sechs lange Jahre mit Nichtstun verbracht hat? Warum hat man der jungen Frau nicht ein bisschen Dampf gemacht, sie sechs Jahre unterstützt, ohne sie vor die Alternative zu stellen, entweder eine Ausbildung zu machen oder einen Hilfsjob anzunehmen?

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