Reich durch Hartz IV
»Berufsarbeitslose«, Arbeitslosenorganisationen, Wohlfahrtsverbände und die Partei »Die Linke« sprechen gerne von menschenunwürdigen Verhältnissen, in denen Hartz-IV-Empfänger angeblich leben müssten, und von unmenschlicher Drangsal für die Erwerbslosen, wenn das Jobcenter angeblich unzumutbare Arbeit anbiete oder Sanktionen androhe. Unstrittig sei ohnehin, Hartz-IV-Empfänger lebten in bitterer Armut. Gesellschaftliche Teilhabe wird dann gerne gefordert: durch die ermäßigte Kinokarte, den kostenlosen Eintritt ins Schwimmbad oder Theater oder zusätzliches Geld für den Urlaub. Doch wenn Hartz IV zum Rundum-sorglos-Paket mutieren würde, wer wollte dann noch einen Job im Niedriglohnbereich annehmen? Pakete austragen, putzen, kellnern? Wie gesagt: Eine Familie mit zwei Kindern, wo alle Hartz IV bekommen, deren Miete und Heizkosten bezahlt werden, die ein Sozialticket beim städtischen Transportunternehmen erhält, die für die Unterbringung ihrer Kinder im Kindergarten nichts bezahlen muss und für die das Sozialamt die Kosten für die Klassenreise übernimmt, steht oft günstiger da als eine Familie, in der nur einer verdient und der andere zu Hause bleibt, um sich um die Kinder zu kümmern. Es ist kein Geheimnis, dass in einigen Problemvierteln Kinder auf die Frage, welchen Beruf sie wohl mal ergreifen wollen, gerne auch mal antworten: »Ich werde Hartzer.«
Inzwischen sind aus einzelnen Sozialhilfekarrieristen ganze Hartz-IV-Dynastien geworden: Von der Großmutter bis zur Enkelin leben alle Familienmitglieder von der Stütze. Dass ihre Eltern morgens zur Arbeit gehen, sie rechtzeitig vor der Schule geweckt werden, ein Frühstück und ein Schulbrot für die Pause bekommen, kennen viele Kinder nicht mehr. Das bestätigen Lehrer, Sozialpädagogen, Pfarrer und Betreiber von Sozialeinrichtungen und Suppenküchen, angefangen bei den Mitarbeitern der Arche in Berlin-Hellersdorf bis zu Susanne Aschenbrenner von den Mittagskindern in Hamburg.
Die Ursache ist eine Mischung aus Lebensuntüchtigkeit, fehlendem Schul- und Berufsabschluss und der Unfähigkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Inzwischen sind viele Menschen gewohnt, dass der Staat mit einem Heer aus Betreuern, Beratern, Sozialpädagogen, Sozialarbeitern und Streetworkern für alles sorgt, in allem berät und hilft und somit für die Befriedigung aller Bedürfnisse zuständig ist. Umgekehrt erwartet auch niemand mehr von ihnen, dass sie Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Niemand setzt ihnen zu, wenn etwas nicht klappt, und fordert Eigeninitiative. Stattdessen ist sich die Betreuungsbranche einig darin, dass man das auch nicht erwarten könne und dürfe. Schließlich sei die Kindheit oft hart gewesen, der Vater arbeitslos oder abwesend, die Mutter alkoholkrank und ohne Schulabschluss und Ausbildung. Solche Probleme werden aber nicht vererbt, und Kindern aus diesen Familien sollten möglichst früh Alternativen angeboten werden. Darüber wird dann trefflich gestritten.
Oft sind es Einzelinitiativen wie die Arche von Pfarrer Bernd Siggelkow oder die Mittagskinder von Susanne Aschenbrenner, die Ganztagsbetreuung anbieten, um Kinder aus Milieus herauszuholen, die keine Perspektive bieten. Dort wird all das geleistet, was Eltern nicht schaffen oder offenbar zum Teil auch nicht übernehmen wollen oder können. Das, was sie können, ist Kindergeld und Hartz IV für ihre Kinder kassieren. Bei diesen kommt die Unterstützung aber offenbar nicht an, was die Gespräche mit Kindern zeigen, die regelmäßig in der Arche oder bei den Mittagskindern essen und dort ihre Nachmittage verbringen: Die Eltern spielten mit der Playstation oder guckten rund um die Uhr fern, erzählen sie. Doch warum wird Eltern, die nicht für ihre Kinder sorgen, die nicht darauf achten, dass sie regelmäßig zur Schule gehen, nicht das Kindergeld gestrichen? Warum werden sie nicht mit Bußgeldern belegt? Heinz Buschkowsky bringt es auf die einfache Formel: »Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt das Kindergeld nicht aufs Konto.« Was Heinz Buschkowsky meint: wer so wenig Interesse an seinen Kindern hat, dass er sie nicht zur Schule schickt, brauche auch keine finanzielle Unterstützung des Staates in Form von Kindergeld.
Sylvia Radau ist Sozialarbeiterin im Schulamt Friedrichshain-Kreuzberg und bearbeitet dort die »Schulversäumnisanzeigen«. Sie hat festgestellt, dass die Androhung von Sanktionen durchaus helfen kann im Umgang mit schwierigen Familien. Die
Weitere Kostenlose Bücher