Reich durch Hartz IV
arbeiten.«
»Ich will ja auch arbeiten«, sagt Ilona B. »Aber ich stelle meine speziellen Bedingungen. Das ist nun mal so. Ich hab’ Kinder. Die können nicht allein klarkommen.«
»Ja, dann stehen Sie aber dem Arbeitsmarkt auch nicht zur Verfügung und kriegen eben auch kein Geld mehr.«
»Ja, und wovon soll ich leben?«
»Es kann doch nicht sein, dass die Allgemeinheit für Ihre persönlichen Entscheidungen aufkommen muss. Das ist doch Ihre Lebensplanung. Das muss man sich doch vorher überlegen.«
Fallmanager Jens Krüger hat den Disput stumm verfolgt. Als Ilona B. zur Tür hinaus ist, sagt er: »Eigentlich hätte ich die Frau gleich mit einer Sanktion belegen und ihr die Unterstützung streichen müssen. Ihr Lebensgefährte ist auch arbeitslos gemeldet, bekommt ebenso Unterstützung. Die beiden leben in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft. Da kann man es sich ganz gut einrichten, wenn man außerhalb der Stadt auf dem Land lebt.«
»Und warum sagen Sie nicht, sie bekäme kein Geld mehr, wenn sie keine Bereitschaft zeigt zu arbeiten?«
»Ein gewisser sozialer Faktor spielt da mit, wenn das auch politisch nicht gewollt ist. Es ist ja auch eine Frage der Menschlichkeit!«
Ich besuche Ilona B. zu Hause. Mich interessiert, was aus einer jungen Frau werden soll, die noch nie über längere Zeit selbst Geld verdient hat. Denn für sie geht schon seit fünf Jahren gar nichts mehr. Da war sie erst 25, jetzt ist sie 30 und hat noch 35 Jahre Erwerbsleben vor sich – oder wird eben lebenslang von Stütze existieren. Sie wohnt abgelegen in einem alten, verlassenen Hof auf dem Land. Ein Job – höchstens zehn Minuten von hier mit Arbeitszeiten nur zwischen 14 und 18 Uhr – wird sich schwer finden lassen. Das weiß sie durchaus: Sie hat zwei Kinder im Alter von etwa sieben und fünf Jahren. Eines geht in die Schule, das andere in den Kindergarten. Auch ihr Lebensgefährte ist seit Jahren arbeitslos. Soll Hartz IV für sie zur Endstation werden? »Ich suche ja einen Job«, betont sie erneut, »aber nur in der Nähe und nur am Nachmittag.« Morgens wolle sie die Kinder zum Kindergarten und zur Schule bringen, sie mittags wieder abholen, zwischendurch einkaufen. Meist würden sich alle Angebote ohnehin schon beim ersten Telefonat erledigen, berichtet sie. Sobald sie ihre beiden Kinder ins Spiel bringe und ausführlich erzähle, dass beide oft und lange krank seien, ständig erkältet und nicht selten Grippe hätten. Wie so ein Gespräch läuft, demonstriert sie mir bereitwillig. Danach kann ich mir sehr gut vorstellen, warum sie seit fünf Jahren ohne Job ist.
»Ich ruf’ ganz normal an, frag nach, ob die Stelle noch frei ist. Dann sagt die Frau am anderen Ende: ›Erzählen Sie ein bisschen was von sich‹, und dann muss ich das ja alles angeben. Dann erzähle ich von den ganzen Kinderkrankheiten, vom Pseudokrupp. Und dass ich während meines letzten befristeten Arbeitsvertrags allein sechs Wochen krankgeschrieben gewesen sei wegen meines Kindes. Und dann heißt es immer: ›Nein danke, an Ihnen haben wir kein Interesse. Sie schaut mich triumphierend an. »So ist es nun mal!«
»Hier draußen auf dem Land greift doch die Nachbarschaftshilfe noch ganz gut. Könnte da nicht eine andere Mutter im Notfall einspringen, oder könnten nicht auch Ihre Eltern und Ihr Lebensgefährte die Kinder betreuen, wenn sie mal krank sind?«
»Nein, auf keinen Fall«, wendet Ilona B. ein. »Das mache ich selbst. Und überhaupt: Ich muss ja auch in die Schule, zur Lehrerin und zum Elternabend. Das geht doch alles nicht, wenn ich arbeite.«
Ilona B. und ihre Familie kommen mit Hartz IV ganz gut über die Runden. »Heute Morgen haben wir das erste Mal gegrillt«, erzählt sie, als wir über den Hof gehen. Die erste Sonne wärmt schon. »Das war schön.« Und dann berichtet sie von ihrem Alltag mit Hartz IV, erzählt von ihren Einkommensverhältnissen, wie sie, ihr Partner und die beiden Kinder zurechtkämen. »Wir bekommen beide, mein Lebenspartner und ich, Hartz IV. Zusätzlich erhalten die Kinder Hartz IV, und dann ist da noch das Kindergeld. Es läuft ein Kredit. Es müssen Schulden abbezahlt werden. Da geht das Arbeitslosengeld schon mal dafür weg. Wenn ich die Kinder nicht hätte, könnten wir nicht leben. Wir leben alle vom Kindergeld. Ohne Kindergeld ginge es gar nicht«, räumt sie ein.
Zurück in der Jobagentur bei Angelika Brauer. Es klopft. Der Nächste bitte. Necet I., Mitte 40, Lagerarbeiter, ist seit vier Jahren
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