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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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Schulen müssen melden, wenn Kinder mehr als zehn Tage am Stück dem Unterricht unentschuldigt fernbleiben. Schon seit einigen Jahren dürfen die Behörden Bußgelder gegen die Eltern von Schulverweigerern verhängen. »Es ist wichtig, dieses Bußgeld als Drohmittel zu haben«, sagt Radau in einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost . Denn seit sie in ihren Anschreiben darauf verweisen könne, erschienen die Eltern auch meistens zum Gespräch im Schulamt, viele bekämen sogar einen Schreck, seien unter diesem Druck zu »vielem bereit«, erklärt Radau. Wer nicht kommt, zu dem macht sich die Sozialarbeiterin persönlich auf, oft begleitet von Kollegen vom Jugendamt.
    Doch solche Erfahrungen werden auch oft ausgeblendet und zurückgewiesen von der Heerschar der Kümmerer, die für dieses Verhalten alle und alles verantwortlich machen: die Gesellschaft, die Bedingungen, die schwere Kindheit. Nur nicht die Eltern, die die Kinder in die Welt gesetzt haben. Zum Beispiel Eva Gottwalles von der Caritas in Berlin-Lichtenberg setzt bei Schulverweigerern und ihren Eltern auch eher auf Anreize, auf die »Erziehungskompetenz« der Familien. Die in Berlin bestehende Möglichkeit, Bußgelder zu verhängen, habe letztlich nicht gefruchtet. Es könne zwar sein, dass die Eltern unter der Androhung von weniger Hartz IV aktiver würden, aber meist sei die familiäre Situation äußerst prekär. Oft seien die Eltern selbst verzweifelt und hilflos. Da ist es fast ein schlechter Scherz, dass die Stadt Oer-Erkenschwick in Nordrhein-Westfalen Schulschwänzern 100 Euro Prämie zahlen will, wenn sie wieder zum Unterricht erscheinen.
    Wozu die Einführung von Betreuungsgeld in Familien wie diesen führt, kann sich jeder leicht ausmalen, der sich in solchen Milieus auskennt. Noch weniger Kinder werden in Kitas und Krippen geschickt, noch früher wird deren Zukunft als Hartzer zementiert. Oft ist es nicht Armut, die in solchen Familien herrscht, sondern schiere Verwahrlosung. Häufig gibt es bei ihnen zu Hause mehrere Flachbildfernseher, einen DVD-Player und ein Sky-Abo. Das Geld für Essen wird an der Imbissbude ausgegeben. Es ist offenbar eine Art von Verwahrlosung, der man mit mehr Geld jedenfalls nicht beikommt.
    Die meisten Familien haben sich wohl auch daran gewöhnt, dass bei allen Problemen und für jegliche Bedürfnisbefriedigung – sei es die Erstausstattung des Säuglings, das Kleid für die Erstkommunion der Tochter oder der Ersatz für die kaputte Waschmaschine – der Staat in Gestalt des Jobcenters zuständig ist. Lethargisch warten sie auf die monatliche Zuweisung vom Amt. Einige Einrichtungen wie die »Hamburger Mittagskinder« oder die »Bärenstarken Kinder« in Gelsenkirchen zum Beispiel sind aufgrund solcher Erfahrungen dazu übergegangen, Kindern nicht einfach ein warmes Essen anzubieten, sondern sie bei dessen Zubereitung mit einzubeziehen. Sie dürfen beim Kochen mithelfen und stellen staunend fest, dass Kartoffeln ursprünglich nicht als viereckige Stifte in Öl schwimmend vorkommen. Sie lernen, sie zu schälen und zu kochen, Obst und Gemüse zu essen.
    Bücher gebe es bei ihnen zu Hause nicht. Und spielen sie mit der Puppenstube, bemängeln sie lautstark, dass darin viel zu wenige Fernseher seien. Bei ihnen zu Hause sei das anders, betonen sie. Da haben Papa und Mama einen und sie selbst und die Geschwister natürlich auch. Als sich die Kinder am Mittagstisch versammeln, frage ich, wo Papa und Mama denn seien. »Zu Hause«, sagen die meisten. »Und was machen sie da? Warum kochen sie dir kein Mittagessen?«
    »Mama guckt Britt und Papa spielt Playstation.«
    Oft gibt es aber gar keinen Vater, stattdessen viele Geschwister. Das Schlimmste daran ist, dass die Kinder ihre Eltern als passive Menschen erleben, die alle sechs Wochen oder zwei Monate vom Amt einbestellt werden, auf die aber sonst niemand wartet, die niemand braucht, deren Einkommen von einer Behörde kommt. Wie sollen solche Kinder jemals lernen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen? Wie sollen sie sich etwas zutrauen, jemals das Gefühl bekommen, dass sie über ihr Leben selbst bestimmen, Entscheidungen treffen, einen Beruf ergreifen, etwas lernen können? Wie war das noch? Sollten die Hartz-IV-Reformen nicht begleitet werden vom »Fördern und Fordern«? Die Arbeitslosen sollten eine Vereinbarung unterschreiben und sich verpflichten, alles zu tun, um wieder einen Job zu finden. Und die Fallmanager in den Jobagenturen sollten alles daran setzen, die

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