Reich durch Hartz IV
damit an. Sie bekommen die Unterstützung eines professionellen Trainers.«
»Nein«, sagt Carmen K. »Wozu denn?« Und dann holt sie einen Zettel aus der Jacke und verkündet: »Ich habe Elepsie.« Vermutlich meint sie Epilepsie. »Ich kann jederzeit umkippen. Hier sind die Atteste von meinem Arzt. Ich bekomme starke Tabletten und könnte auch jetzt jede Sekunde bewusstlos werden. Sie können mich ja gerne vermitteln, aber das müssen Sie dem Arbeitgeber mitteilen.« Frau Brauer bleibt gefasst: »Nein, das muss ich nicht. Auf Krankheiten muss nicht hingewiesen werden, genauso wenig wie auf Schwangerschaften.«
»Wenn ich dann aber ewig krank bin und mein Chef mich deswegen kündigt, ist das nicht meine Schuld«, droht Carmen K. »Da haben Sie recht«, antwortet Angelika Brauer, »aber dann versuchen wir’s eben beim nächsten Arbeitgeber. Ich habe hier zum Beispiel ein Stellenangebot in Hamburg, Teilzeit oder Vollzeit, was Sie wollen.«
»Wie soll ich denn da hinkommen?«, Carmen K. läuft vor Ärger rot an. »Mit dem Vorortzug natürlich«, entgegnet Angelika Brauer. »Sie wohnen doch an einer Bahnstation. Ich bin auch zehn Jahre lang jeden Tag 20 Minuten nach Hamburg mit dem Zug gefahren. Und ich bin nicht die Einzige!«
»Ich soll mit dem Zug fahren?«, Carmen K. ist sichtlich empört. »Warum denn nicht? Andere Leute fahren doch auch mit dem Zug. Es gibt doch eine supergute Zugverbindung von Ihnen aus nach Hamburg.«
»Und dann soll ich den ganzen Tag arbeiten? Acht Stunden?«
»Nein, ich habe doch gerade gesagt, das wäre eine Teilzeit- oder eine Vollzeitstelle. Ganz wie Sie wollen.«
»Aber in der Gastronomie bleibt es nicht aus, dass man acht, neun Stunden arbeiten muss. Und wann soll ich dann mein Kind in die Schule bringen?«
»Ihr Kind kann doch schon allein in die Schule gehen. Das muss doch jede andere berufstätige Mutter auch hinkriegen.«
»Mein Sohn geht aber nicht allein in die Schule. Er geht vielleicht noch allein in die Schule, aber er steht morgens nicht allein aus dem Bett auf.«
»Aber Sie hatten mir doch erzählt, dass Ihr Lebensgefährte Rentner ist.«
»Ja, aber der ist doch auch hier arbeitslos gemeldet. Und der ist nicht immer zu Hause. Der kümmert sich nicht um mein Kind.«
»Da wird sich doch mit Sicherheit etwas organisieren lassen?«, wendet Angelika Brauer seelenruhig ein. »Auch ich bin berufstätige Mutter.«
»Und was soll ich machen, wenn die Kinder Schulferien haben und ich fest angestellt bin?«
»Genau wie ich es jetzt auch mache. Ich habe auch zwei Kinder. Ich organisiere eine Betreuung während der Ferien. Das ist beispielsweise über den Landkreis Harburg möglich. Wenn Sie den Job halbtags oder ganztags nicht annehmen wollen, beginnt für Sie ab April erst mal das Bewerbungstraining.« Carmen K. schiebt das Kinn energisch vor und schüttelt den Kopf: »Ich geh’ da nicht hin und gut ist.«
»Sollten Sie bis zum April keine Arbeit gefunden haben, gehen Sie zum Bewerbungstraining.«
»Nein, gehe ich nicht. Auf Wiedersehen.«
Die Tür fällt krachend ins Schloss und Angelika Brauer sieht aus dem Fenster. Draußen steigt Carmen K. wütend auf ihren Motorroller und braust davon. Das nächste Mal will sie Carmen K. fragen, ob sie nicht doch mobiler sei, als es den Anschein hat.
Frau Brauer braucht gute Nerven, denn exotische Einzelfälle sind Vorkommnisse wie diese offenbar nicht. »Solche Personen kenne ich viele. Tagtäglich, wirklich jeden Tag, führe ich Gespräche wie dieses. Und die Leute haben alle eine Menge Gründe, die sie anführen, warum sie sich bis jetzt noch nicht vorgestellt haben, warum sie nicht alle Möglichkeiten, einen neuen Job zu finden, ausgeschöpft haben oder warum sie sich bisher nicht außerhalb ihres erlernten Berufs, den sie vor acht, neun Jahren das letzte Mal ausgeübt haben, beworben haben. Gerne werden auch gesundheitliche Gründe angeführt. Bis hin zu: Der Hund muss ausgeführt werden. So was oder Ähnliches höre ich den ganzen Tag.«
Necat I., der Lagerarbeiter, hat eine Frau und drei Kinder. Als ich ihn besuche, erklärt er mir, für ihn sei es eigentlich schwierig, eine Arbeit aufzunehmen. Seine Tochter müsse regelmäßig zum Arzt, und seine Frau spreche gar kein Deutsch. Und wenn er ständig von der Arbeit fernbleibe, werde ihn sicher keine Firma auf Dauer behalten. Oder wie sähen wir das, wendet er sich fragend an mich. »Wir sehen das genauso.« Mit Hartz IV kommt Necat I. gut zurecht. 1400 Euro bekommt er, und
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