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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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auch erst mal einen neuen Kindergartenplatz bekommen, und den kriegt man ja auch erst, wenn ein Kind drei Jahre alt ist, wenn’s sauber ist. Klar, dann werde ich versuchen, irgendwas vormittags zu bekommen. Aber alle drei Kinder müssten dafür untergebracht sein.« Wieder mal ein Gespräch, das zeigt: Ilona B. wird Stammkundin beim Jobcenter bleiben.
    »Ist denn nicht im Moment auch Ihr Mann zu Hause?«
    »Ja, und?«
    »Könnte der sich denn nicht um die Kinder kümmern, wenn nach der Geburt die Elternzeit vorbei ist?«
    »Na ja, ich weiß noch nicht, wie lange ich stillen werde. Das gehört ja auch wieder dazu. Arbeiten kann ich dann ganz bestimmt nicht. Und: Er könnte ja auch von heute auf morgen wieder was finden.«
    Könnte, hätte, wäre – dieselbe Leier wie zuvor. Im Büro der Grone-Schule hat man die Akte von Ilona B. bereits aussortiert. Viel Arbeit – wenig Ertrag. Denn nur wenn Ilona B. sechs Wochen durchgehalten hätte, hätte die Grone-Schule eine Prämie vom Jobcenter bekommen! Dafür bemüht sich die Arbeitsvermittlerin jetzt um An­dreas B., einen etwas rundlichen Tischler von Anfang, Mitte 30. Er weiß, was man Reportern antwortet: dass Hartz IV gerade mal eben so zum Leben reiche, dass es eigentlich viel zu wenig Unterstützung sei und die Arbeitsangebote unzumutbar seien. »Unsere Familie lebt vom Arbeitslosengeld II«, sagt er. »Meine Frau kriegt Hartz IV, ich natürlich und die drei Kinder auch. Die Miete wird vom Staat bezahlt. Davon muss man sich eben durchschlagen.«
    Wir besuchen Andreas B. zu Hause. Sich »durchzuschlagen« heißt unter anderem, ein geräumiges, gemütliches Einfamilienhaus mit Terrasse und weitläufigem Garten zu bewohnen. Alles vom Jobcenter bezahlt: 850 Euro allein die monatliche Miete. Andreas B. ist seit Jahren arbeitslos, aber in seinem gelernten Beruf als Tischler wolle er einfach nicht mehr arbeiten, erklärt er rundheraus: »Dazu habe ich keine Lust.« Auch bei ihm wird sehr schnell klar: selbst wenn er auf irgendeinen anderen Beruf Lust hätte, würde es hier draußen hinterm Deich schwierig. »Wir haben zwar ein Auto, aber ich bin darauf angewiesen, dass mich meine Frau fährt, weil ich keinen Führerschein mehr habe. Wenn es eine Arbeitszeit ist, wo kein Bus oder keine Bahn mehr fährt, dann ist das halt ein Problem.«
    Dass er keinen Führerschein hat, ist nicht erst seit gestern so. Trotzdem ist die Familie vor einem halben Jahr in ein malerisches Idyll gezogen: landschaftlich wunderschön, überall grasende Schnucken auf dem Deich, Bäume im Garten, aber der Bus fährt hier nur dreimal am Tag. Auch für die Frau von Andreas B., die erst Ende 20 ist, verursacht das und vieles andere nur Probleme: »Ja, ich habe auch schon geputzt. Aber das ist natürlich ein undankbarer Job. Vor allem, wenn man dann nach Hause kommt und noch den ganzen Haushalt machen muss. Im Callcenter hab’ ich auch mal gearbeitet. Die Firma war aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Die haben einen dermaßen unter Druck gesetzt.« Ich frage nach: »Also, putzen wollen Sie lieber nicht, im Callcenter arbeiten wollen Sie auch nicht. Unter welchen Umständen wären Sie denn bereit, eine Arbeit anzunehmen, obwohl die vielleicht nicht gerade Ihr Traumjob wäre? Wann wäre denn der Punkt erreicht, an dem Sie sagen: Dann putze ich lieber oder gehe ich ins Callcenter?« Frau B. zögert ein wenig: »Na ja, wenn sie uns aus dem Haus werfen und sagen würden, die 850 Euro bezahlen wir nicht mehr: ›Sie müssen umziehen‹, dann würde ich vielleicht sogar ins Callcenter gehen.«
    Bisher hat aber niemand Druck in dieser Art gemacht – das Jobcenter nicht und auch die Grone-Schule nicht. Kein Vermittler hat den beiden klargemacht, dass es nicht ums Lustprinzip geht, dass eine Menge Menschen in der Bundesrepublik ihren Job nicht unbedingt als Triumph der Selbstverwirklichung betrachten und trotzdem jeden Tag zur Arbeit traben.
    Aber Andreas B. empfindet eben alles als sehr beschwerlich. Er hat zwar keinen Führerschein, aber Moped und Fahrrad fahren findet er nicht komfortabel. Das hatte er der Beraterin der Grone-Schule gleich nach der Auftaktveranstaltung erklärt. Die Jobangebote müssten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein und zeitlich passen, sagt er, denn die Kinder seien ja auch noch zu versorgen. Und als die Beraterin ihm freudestrahlend erklärte, gerade für Tischler habe sie viele Angebote, hat er ihr sofort klar gemacht: »In meinem erlernten Beruf will ich

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