Reich durch Hartz IV
Vorträge, kämpfe für ein bedingungsloses Grundeinkommen, bekomme dafür eben nur kein Geld. Sein Fallmanager entschied daraufhin, der Klient stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und strich ihm die Unterstützung um 90 Prozent auf 37,40 Euro im Monat. Das fand Ralph B. unzumutbar und trat deshalb öffentlichkeitswirksam in einen »Hungerstreik«, um auf diese schreiende Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen.
In der Sendung saß neben ihm eine etwa gleichaltrige Reinigungsfachkraft, Heidi R., die für 8,82 Euro pro Stunde jeden Abend von 17 Uhr bis drei oder vier Uhr morgens schuftet. Sie putzt Büros. »Ich habe zwei Kinder und möchte denen zeigen, dass man Verantwortung im Leben übernehmen muss. Ein Mensch, der keine Arbeit annimmt und trotzdem so tut, als ob er der Allgemeinheit helfe – das ist Unsinn«, betonte sie. »Das grenzt schon fast an Fremdschämen.« Sie war die Einzige in der Sendung, die sich zu schämen schien. Unmissverständlich warf sie Ralph B. vor, er lasse sich, obwohl weder zu krank, zu alt, zu schlecht ausgebildet, vom Steuerzahler alimentieren und aushalten.
Ob Menschen wie Ralph B. das System gnadenlos ausnutzen und sich auch noch damit brüsten dürfen, auf Kosten des Steurzahlers zu leben, war allerdings nicht Gegenstand der Diskussion. Nur Heinrich Alt, BA-Vorstandsmitglied, blickte Verweigerer Ralph B. streng an und betonte, er bestärke die Menschen in ihren Vorurteilen, die diese gegenüber Hartz-IV-Empfängern hätten. Und er beeilte sich hinzuzufügen, gerade mal drei Prozent der Bezieher von Hartz IV würden das System missbrauchen, gar nicht arbeiten wollen. Er vergaß zu erwähnen, dass die Jobcenter Mühe haben durchzublicken, wer nebenbei noch ein bisschen dazuverdient.
Auch gehen Empfänger von Arbeitslosengeld II selten offen und unverblümt gegen Arbeitsangebote vor, wie man von Mitarbeitern der Jobcenter immer wieder hört. Jeder wisse, dass dann mit Sanktionen zu rechnen sei, und tue so, als füge er sich. Denn es gebe viel ausgefeiltere und wirkungsvollere Methoden, sich gegen einen Fallmanager zur Wehr zu setzen, sagen diese. Das heißt, selbstverständlich bewirbt man sich bei der genannten Firma, nicht ohne schon im Anschreiben auf die Zahl der Kinder zu Hause, häufige Rückenschmerzen oder sonstige langjährige Leiden hinzuweisen. Wird der Bewerber dann wider Erwarten zum Gespräch gebeten, so erledige sich das Angebot oft schon an der Türschwelle, weil der Bewerber sich vorher tagelang nicht die Haare gewaschen habe, zu spät oder in ungepflegten Klamotten zum Termin komme. Oder der Eingeladene nähme kurz vor dem Gespräch einen tiefen Schluck aus der Pulle.
Erst wenn der PAP, der persönliche Ansprechpartner im Jobcenter, misstrauisch werde und bei den Arbeitgebern nachfrage, wieso es denn wieder nicht geklappt habe, bekomme er solche Strategien mit. Dann könne er den Kunden zur »Strafe« aber nur noch in einen Kurs schicken, wo gegen eine saftige Gebühr Menschen »mit multiplen Vermittlungshemmnissen« und »komplexer Profillage« – so das Hartz-Chinesisch der Arbeitsagentur – profilt und gecoacht werden. Komme dabei heraus, dass eine Vermittlung eigentlich keinen Zweck hat, fange das Ganze wieder von vorne an. Wenn jemand wirklich nicht will, dann ist ihm in diesem System des Redens und Ratens offensichtlich nicht beizukommen. Mit Kontrollen übrigens auch nicht. Die meisten Jobcenter haben nämlich gerade mal ein oder zwei Mitarbeiter im Außendienst. Manche von ihnen prüfen fünf Jahre alte Fälle.
Und was ist mit Sanktionen? Gibt es da gar keine Möglichkeiten? Erste Anfänge für konsequentes Durchgreifen gibt es ja schon. So ließ die Bundesagentur für Arbeit verlauten, dass von August 2011 bis Juli 2012 erstmals mehr als eine Million Leistungskürzungen verhängt wurden, so viele wie noch nie. Im Schnitt waren das 106 Euro. Zum überwiegenden Teil gingen diese Sanktionen auf sogenannte Meldeversäumnisse zurück. Mehr als 680 000 Arbeitslose wurden bestraft, wenn sie nicht zu vereinbarten Terminen im Jobcenter erschienen. Die Bundesagentur begründete die deutliche Erhöhung der Sanktionen im Vergleich zu den Vorjahren damit, dass die Fluktuation beim Personal in den Jobcentern abgenommen habe und somit die Vermittler ihre Kunden besser kennen würden. Außerdem gebe es der besseren Konjunktur wegen mehr Stellen, weshalb Hartz-IV-Empfänger öfter eingeladen würden, um ihnen Angebote zu unterbreiten. Entsprechend häufiger käme
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