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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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bedenklich schnauft? Was soll er denken, wenn er sieht, wie der Nachbar mit solchen Angeboten geködert wird? Als Kind haben mir meine Eltern gesagt: »Wenn du etwas haben willst, musst du etwas lernen und dafür arbeiten.« Mein Vater starb, als ich elf war. Meine Mutter hatte ihm versprochen, dass sie es meiner Schwester und mir ermöglichen würde, Abitur zu machen. Es gab noch kein Schüler-BAföG, das Geld war knapp, und all das, was manche Mitschüler hatten, wie Taschengeld, schicke Klamotten, angesagte Ranzen, modische Schuhe, Plattenspieler, war für mich unerschwinglich, Ferienreisen sogar völlig undenkbar. »Wenn du das willst, musst du jobben«, sagte meine Mutter. Nach heutigen Maßstäben waren wir arm, aber niemand wäre auf die Idee gekommen, zum Amt zu traben und um Geld zu bitten für Ranzen und Reisen. Niemand fand oder vertrat gar öffentlich die Meinung, jedes Kind müsse die Möglichkeit haben, modische Klamotten zu tragen. Es nehme sonst Schaden fürs Leben, fühle sich diskriminiert, ausgegrenzt und arm, wenn es nicht den gleichen schicken Ranzen oder die modische Tasche habe wie die Banknachbarin. Vor allem war keiner der Auffassung, der Staat sei für die Befriedigung aller Bedürfnisse zuständig. Ich wusste einfach: Wir haben weniger Geld als die Familien vieler anderer Kinder in der Klasse. Das war’s.
    Also ging ich in den Schulferien immer jobben. Ich verkaufte Unterwäsche und Socken im Kaufhaus, hütete Kinder, gab Nachhilfe, führte Hunde aus. Ich bekam vier Mark pro Stunde und fühlte mich wie eine Königin. Einmal kam ich morgens zu spät in die Kaufhalle. Ich hatte getrödelt und dachte, dass, wie der Lehrer in der Schule, auch der Abteilungsleiter der Kaufhalle das durchgehen ließe. Doch weit gefehlt: Er zog mir den Lohn einer ganzen Stunde für zehn Minuten Zuspätkommen ab. Von da an war ich pünktlich. Für das, was ich in drei Wochen dort verdiente, kaufte ich mir eine Fahrkarte und fuhr mal nach Griechenland, mal nach Frankreich, wo ich als Au-pair-Mädchen arbeitete. Auch mein Studium habe ich mir selbst finanziert. Drei Mal in der Woche verkaufte ich, wenn die Seminare und Vorlesungen zu Ende waren, in einem Geschäft Handschuhe, Taschen, Jacken und Mäntel. Unzumutbar? Fand ich nicht.
    Je mehr man ohne Gegenleistung bekommt, desto weniger ist man bereit, sich zu bewegen. Eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes bringt Menschen nicht wieder in Arbeit, im Gegenteil: Schlecht entlohnte Jobs werden dadurch immer unattraktiver. Deutschland gibt von allen EU-Ländern das meiste Geld für Familienförderung aus. Trotzdem bleiben viele Kinder auf der Strecke. Ihre Zukunft hängt von Spenden Mildtätiger ab, und sie bekommen viel zu selten andere Perspektiven aufgezeigt als die Vorstellung, das Leben bestünde aus der Überweisung vom Amt und dem Flachbildschirmfernseher zu Hause. Das ist der eigentliche Skandal, denn das verletzt die Würde und zerstört die Zukunftschancen von Kindern. Würde man umsteuern, also Geld in gute Betreuung an Ganztagsschulen, in Sportvereine, Musikschulen, Kindertreffs und Kitas stecken, den Besuch von und das Mitwirken in Konzerten und Theateraufführungen an Schulen und Kindergärten fördern – und das nicht nur zur Weihnachtszeit –, wäre vieles besser. Ebenso sinnvoll wären mobile Büchereien, Vorlesestunden, Kinderküchen und Theaterzirkel in sogenannten Problemvierteln. Um das zu ermöglichen, sollte Familien das Kindergeld rigoros gestrichen werden, die nicht ihre Kinder, sondern nur das Bezahlfernsehen im Kopf haben. Dann wäre schon ein richtiger Schritt getan.
    Forderung: Mehr Geld ist keine Lösung. Die Zahl der Dauerkunden im Jobcenter sinkt kaum, obwohl 2011 und 2012 die Beschäftigungssituation gut war. Die Zahl der Arbeitslosen sank, überall wird vom Fachkräftemangel gesprochen und die Regierung von der Wirtschaft dringend dazu aufgerufen, vermehrt auf Experten ohne deutschen Pass zu setzen und sie unbürokratisch ins Land zu lassen. Dazu BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt: »Es gibt zugegebenermaßen einen hartnäckigen Sockel in der Arbeitslosigkeit, aber ich möchte nicht von einer Verfestigung sprechen.« Er räumt ein, dass man sich in den Jobcentern immer weiter dem harten Kern nähere. Es blieben diejenigen zurück, bei denen sich »eine Integration in Ausbildung oder Beschäftigung in naher, vielleicht auch in weiter Zukunft nicht abzeichnet.« Da können nur Fördern und Fordern, möglicherweise Sanktionen und das Ändern

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