Reich durch Hartz IV
es also vor, dass dieser Aufforderung nicht nachgekommen werde, Arbeitslose nicht erscheinen würden. Wegen der offenen Ablehnung eines Jobs wurden 141 000 Mal die Leistungen gekürzt, auch das ist ein geringer Anstieg im Zeitraum seit August 2011.
Beträgt oder übersteigt die Leistungskürzung 30 Prozent, müssen Lebensmittelgutscheine ausgegeben werden, normalerweise auf Antrag des Arbeitslosen. Lebt ein Kind in der Familie, müssen diese von Amts wegen ausgegeben werden. Droht aufgrund von Totalsanktion Wohnungslosigkeit, wird die Miete dem Eigentümer direkt überwiesen, damit niemand wegen einer Sanktion obdachlos wird.
»Doch Sanktionen«, räumen Mitarbeiter diverser Jobcenter im Gespräch unter vier Augen ein, »kosten Zeit, Mühe und Nerven.«
»Ich muss Begründungen schreiben, gegen Widersprüche vorgehen, eine erneute Einladung ins Jobcenter aussprechen … Mit anderen Worten: Sanktionen ziehen einen endlosen Papierkrieg nach sich.« Die Bundesagentur für Arbeit erläutert: »Der Leistungsberechtigte bekommt ein Anhörungsschreiben. Hiermit wird er aufgefordert, Gründe anzuführen, warum er die Arbeit abgelehnt hat oder warum er nicht zum Termin erschienen ist. Diese Anhörung ist Basis für die spätere Entscheidung, ob sanktioniert wird oder nicht. Die Entscheidung muss der Vermittler dokumentieren. Dann bekommt der Leistungsberechtigte einen entsprechenden Änderungsbescheid. Geht ein Sanktionierter in den Widerspruch, wird innerhalb des Jobcenters noch mal die eigene Entscheidung überprüft, zumeist von Juristen.« Ein Mitarbeiter der Jobagentur, der namentlich nicht genannt werden möchte, ergänzt: »Selbst wenn ein Fall im Widerspruch endet oder gar vor Gericht geht, läuft es oft so, dass die Arbeitslosen behaupten, mein Brief sei nie bei ihnen angekommen. Das wird dann vom Richter in der Regel so hingenommen, und der Fall ist erledigt: Ich muss die Sanktion zurücknehmen. Einmal habe ich mir die Mühe gemacht und alle Einladungen zu einer Jobbörse mit der Hand ausgetragen. Meine Jobagentur liegt ja in einem kleinen Ort. Von 40 Eingeladenen kamen nur 15. Die anderen 25 Eingeladenen behaupteten, die Einladung nicht bekommen zu haben. Zwei gingen, nachdem ich sie wegen Nichterscheinens sanktioniert habe, vor Gericht. Da musste ich mich vom Richter fragen lassen, ob ich beweisen könne, alle Einladungen persönlich in den Postkasten gesteckt zu haben. Als ob ich für so was auch noch einen Kollegen mitnehmen würde. Wir ersticken doch so schon in Aktenbergen. Also, warum soll ich noch Sanktionen aussprechen? Das bringt doch sowieso nichts.«
Der Mitarbeiter einer anderen Jobagentur fügt erläuternd hinzu: »Und wehe, ich habe einen bestimmten Paragraphen, einen kurzen Absatz, das Kleingedruckte übersehen. Warum soll ich mir also die ganze Mühe machen? Lieber ermahne ich meinen Kunden ein bisschen, und das Ganze hat sich. Ich kann ihm sowieso nicht beikommen. Das lass’ ich doch lieber gleich und konzentriere meine Bemühungen auf diejenigen, von denen ich weiß, dass sie wirklich wollen. Wenn einer meiner Kunden nämlich partout nicht will, krieg ich in der Folge doch nur wütende Anrufe von Arbeitgebern oder von Mitarbeitern der Personalabteilungen. Sie fragen berechtigterweise, wieso ich ihnen so einen unmotivierten oder unwilligen Bewerber schicke oder einen, der wenig gelernt hat, aber traumtänzerische Vorstellungen davon hat, wie viel er verdienen kann.«
So wie bei Ralph B., der in »Menschen bei Maischberger« auftrat. Dessen »Jobmanager« hatte offenbar genug davon, dass er schon jahrelang Arbeitsangebote verweigert. Er verhängte eine Sanktion: die Bezüge von Ralph B. wurden auf 37,40 Euro reduziert, woraufhin er gegen das Jobcenter vorging. Eilig versicherte Heinrich Alt in der Talkshow, Ralph B. bekomme auf jeden Fall Lebensmittelgutscheine, und ihm werde natürlich auch die Miete weiter bezahlt. Denn Obdachlosigkeit oder gar Hunger dürfe im Sozialstaat Deutschland nicht sein. Wie schön!
Kleinlaut musste das BA-Vorstandsmitglied wenig später auf Nachbohren von Gastgeberin Sandra Maischberger noch einräumen, dass die Sanktionierung des Arbeitsverweigerers und Dauerbeziehers von Hartz IV nicht statthaft sei, da eine Sanktion nur einmal pro Quartal ausgesprochen werden könne und maximal 30 Prozent betragen dürfe. Die zuständige Pressesprecherin bestätigte das später noch auf Anfrage: »Es darf nur eine Sanktion bei ›gleichem Vergehen‹ ausgesprochen werden.
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