Reich durch Hartz IV
werden wir es mit Tausenden beruflich unqualifizierten jungen Menschen auf unseren Straßen zu tun haben, die sozial chancenlos sind. Hier tickt eine soziale Bombe, die auch und gerade von den Eltern der betroffenen Kinder viel zu sehr unterschätzt wird. Wer diese Missstände aber offen formuliert, bekommt ganz schnell seine Probleme mit der Gutmenschen-Mafia, die über Parteigrenzen hinweg bestens funktioniert.«
Meist lautet der Vorwurf, man habe sich perfide, herzlos und zielgerichtet das winzige Grüppchen von Menschen herausgesucht, das Missbrauch betreibe. Man sei ohne Mitleid und Verständnis für die Opfer. Opfer sind aus dieser Sicht alle Hartz-IV-Empfänger: Sie haben keinen Schulabschluss und keine Ausbildung, weil sie angeblich schon in früher Jugend diskriminiert und benachteiligt wurden. Dass sie vor zehn oder 20 Jahren die Schule verlassen haben, inzwischen erwachsen sind und schon oft die Gelegenheit hätten ergreifen können, einen Abschluss zu machen oder einen Beruf zu lernen – geschenkt. Das Heer aus Kümmerern und Sozialpädagogen kann Dutzende von Gründen aufzählen, warum diese Opfer eben nicht arbeiten können oder erst einmal etliche Motivationskurse machen müssen, in denen sie für viel Geld und oft ohne jeden Nutzen oder ein Ergebnis »gecoacht« werden, damit sie lernen, regelmäßig und pünktlich an der Arbeitsstelle zu erscheinen. Diese Menschen seien bedauernswert, arm und würden von Jobcentern gequält und drangsaliert, die Würde von Arbeitslosen werde in Deutschland mit Füßen getreten, heißt es immer wieder.
Befördert werden solche Ansichten durch zahllose Vereinigungen von Berufsarbeitslosen. Da gibt es zum Beispiel Internetseiten wie www.gegen-hartz.de oder www.hartz4-forum.de , www.haarige-zeiten.de oder die Attac-AG »genug für alle« und Grundeinkommen-attac.de. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Stehen Filme zu Hartz IV oder Talkshows auf dem Programm, deren Titel ahnen lässt, dass es um Reizthemen wie Armut, Hartz IV oder Arbeitslosigkeit gehen könnte, machen diese Initiativen im Blog mobil. Schon im Vorfeld werden manche Talkshowgäste negativ bewertet, beschimpft oder richtiggehend plattgemacht mit dem Fazit, Oskar Lafontaine und Katja Kipping seien in den Augen der »Berufsarbeitslosen« gut, der Ex-Grüne und heutige CDU-Politiker Oswald Metzger, Guido Westerwelle oder manch andere Vertreter der CDU oder FDP ganz schlecht. Die Gemeinde wird so schon vorab auf die Diskussion eingestimmt und macht sich zur Attacke bereit.
Ich persönlich bin mir über die mir zugedachte Rolle in einer Talkshow im Klaren. Häufig wird mir auch schon im Vorgespräch gesagt, man wisse und sei erfreut darüber, dass ich mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg halte und auch unmittelbar aus der Praxis berichten könne. Politiker, die mir in den Runden gegenübersitzen, haben in der Regel eine Nachbarschaft, die mehrheitlich nicht von Hartz IV lebt. Ihnen steht der Fahrdienst des Bundestages mit bequemen Limousinen zur Verfügung, sie fahren nicht mit der U-Bahn oder dem überfüllten Bus. Jobcenter betreten sie, nachdem ihr Besuch meist Wochen im Voraus angekündigt wurde, umringt von einer Schar von Referenten, um sich eine Stunde mit dessen Leiter kurz auszutauschen. Ich bezeichne sie als Elfenbeinturm-Politiker, die mich gerne, so Heiner Geißler, als Denunziantin beschimpfen, wenn ich es wage, von meinen Erfahrungen zu berichten, zum Beispiel als eine Bezieherin von Hartz IV mir offen erzählte, sie arbeite lieber schwarz, als eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit anzunehmen. Was würde Heiner Geißler wohl tun, wenn er sähe, wie einer alten Dame auf der Straße die Tasche geklaut wird? Die Diebe festhalten oder lieber doch nicht? Nicht die Polizei rufen und keine Anzeige erstatten, denn das wäre ja Denunziation? Oder ist es einfach nicht so schlimm, ein Kavaliersdelikt also, kein Betrug, wenn einer schwarz arbeitet und parallel Hartz IV bezieht? Nach einem solchen Talk oder Film quillt das Mailpostfach aller Diskutanten, auch meines, über.
Manche Zuschriften gehen unter die Gürtellinie, wenn es heißt: »Ich wünsche Ihnen einen langsamen, qualvollen Tod.« Einige Briefe und Mails an mich sind voller persönlicher Diffamierungen, bis hin zu massiven Drohungen. Solche Emotionen sind aber auch ein Gradmesser dafür, dass die Diskussion in ein Wespennest gestochen hat, es einigen Schreibern auch darum geht, Pfründe zu verteidigen und ihnen nicht am
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