Reich kann jeder
Knie-Amerikanerin und kriegt ihren Hintern gar nicht mehr hoch vom Stuhl. »10 Euro!«
Sie stehen alle auf, alle bedanken sich, auch der Erfurter. Sie stehen da, und ich versuche in Sandras Gesicht zu lesen, wie viel wir gewonnen haben. 700 Euro, 1000?
Wie viel wird es sein?
Es ist wie Weihnachten.
Sandra kommt zu uns. Mein Gesicht bebt.
»Sandra, wie viel hast du? Sag, Sandra, sag!«
»Das Problem ist, da war kein Geld am Tisch«, sagt sie. »Das waren alles blutige Anfänger!« Wir sind nur 40 Euro im Plus.
40 Euro!
Ich sacke zusammen.
Ihre 20 Euro gibt sie der Bedienung, unsere 20 Euro verlieren wir im Nachbarsaal bei »Alles auf rot«, als die weiße Kugel auf Schwarz fällt.
Nichts geht mehr.
Im Foyer fange ich den Erfurter ab.
»Entschuldigen Sie, wie viel haben Sie heute gewonnen?«
»1400 Euro, ich habe verdoppelt!«, sagt er. »Jetzt kaufen wir uns eine Flasche Champagner, und morgen schlafen wir aus. Ich spiele nur einmal die Woche und stehe selten mit weniger auf! Ich habe heute Hochzeitstag!«
***
»Schönen guten Tag, hier ist die Gudrun von der Zeitung. Ich habe eure Anzeige gesehen. Ich fand die originell. Habt ihr schon Rückmeldungen? Ich würde gerne über euch berichten.«
Wir haben Post. »Post für Dich« hat Post.
Das kann doch nicht sein, denke ich. Dass man Plakate vor die Redaktionen hängt und das wirklich aufgeht. Ich kann mich kaum beherrschen vor Überraschung und greife sofort zur Tastatur.
Bloß nicht zeigen, dass wir genau auf sie gewartet haben, denke ich und schreibe:
Liebe Gudrun,
lass uns per E-Mail miteinander sprechen. Das passt viel besser zu unserem Metier. Schreiben liegt uns mehr als sprechen. Es ist der helle Wahnsinn, was in Berlin passiert, wenn man eine Anzeige aufhängt. Post für Dich – erstaunlich, wie viele darauf anspringen. Wir kommen kaum hinterher.
Irgendwas kriegen wir bestimmt hin.
Einen schönen Abend noch, liebe Grüße,
Jan (ich) und Anne
Es gibt keine Briefe, es gibt kein Büro und keine Kundschaft. Aber jetzt gibt es Gudrun von der Zeitung, und mit Gudrun von der Zeitung halten wir in den nächsten Tagen einen ganz engen Kontakt.
Gudrun antwortet immer sofort und klingt wie eine, die uns unbedingt groß rausbringen will.
Ob sie es herzschmerzig mag?
Kai, ein Kumpel, könnte unseren ersten Kunden spielen. Kai hat angeblich seine Freundin in Amerika betrogen – und jetzt will er sie zurück.
Er will ihr was Einfühlsames schreiben, angeblich. Und bei uns sucht er Rat, angeblich. Es ist ein Versuch.
Gudrun hat eine weiche Stimme, als wir dann doch telefonieren, sie sagt, sie sei gerade in Mexiko gewesen, und da gebe es so etwas noch, Briefeschreiber.
Sie sei ja so überrascht gewesen von unseren Plakaten, normalerweise fände sie, Briefeschreiben sei ja schon etwas »Antiquiertes«.
Sie freue sich ja so, dass wir so etwas sind: »Briefeschreiber.«
Ich mag sie, weil unser Business in Mexiko auch erfolgreich wäre und jetzt so etwas unausgesprochen Transatlantisches hat.
Wenn Gudrun da ist, soll Kai gerade klingeln und sich einen Brief abholen. Rein zufällig.
***
Hallo, Jan und Anne,
wie wäre denn Mittwoch, gerne vormittags, früher Nachmittag, für ein Treffen, Gespräch, Interview?
Beste Grüße
Gudrun
***
Als ich unserem Praktikanten unsere Musterbriefe zeige, für die es keine Kundschaft gibt, schüttelt er nur den Kopf. Sein Finger fährt beim Lesen langsam über das Papier. Er grient und steckt sich sein Rosinenbrötchen in den Mund.
»Habt ihr ’ne Klatsche.«
»Gar nicht so schlecht, oder?«
»Hm!«
Schweigen ist bei unserem Praktikanten die höchste Stufe von Respekt.
Gudrun kann kommen, auch die Preisliste ist fertig.
Der erste Liebesbrief für die Kais dieser Welt kostet dann 100 Euro. Jede Folgekorrespondenz 5 Euro. Einen zweiten Formbrief zu einem anderen Thema gibt es für 80 Euro. Fünf Formbriefe für 350 Euro. Alles ist perfekt.
Wenn man so etwas macht, muss man auf den Suchtfaktor setzen, so stelle ich mir das vor.
Wir bestätigen Gudrun unseren Termin. Wir haben das Büro geputzt, das Schlafsofa hochgeklappt und unsere Werbung an die Fenster geklebt. Wir haben jetzt ein »Post für Dich«-Schild an der Klingel angebracht.
Und auf der Tafel neben unserer Bürotür steht jetzt: »Worte sind Buchstaben mit Liebe.« Daneben habe ich ein Herz gemalt.
An der langen Wand hängt ein Stephen-King-Zitat: »Schreiben ist veredeltes Denken.«
Und zwei Mal Goethe: »Erlaubt ist, was gefällt« und
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