Reich kann jeder
macht denn dann die Mülltonnen leer? Wer repariert denn dann den Fahrstuhl, wenn er nachher kaputt ist?«
Anne versucht, sie zu beruhigen, und sie sagt: »Da müsst ihr ja was abgeben.«
Juri braucht Genehmigungen von Jugendamt, Schule und Arzt, dafür, dass er jetzt Model wird.
Anne putzt, die Location-Scouts kommen.
»Ist ja super hier. Da kann man ja ’ne Menge machen.« Sie schauen sich um, messen Entfernungen, setzen sich auf das Sofa.
»Mach ihnen Kaffee«, sage ich Anne jedes Mal.
»Mögt ihr einen Kaffee?«, fragt Anne.
»Wenn es einen gibt«, sagen sie und trinken Kaffee, essen Äpfel, machen Fotos vom Schlafzimmer.
Die Mauer wird ernst. Verena, die Nachbarin, die sich so aufgeregt hat wegen des Filmens, soll gute Kontakte haben zu Arabern, die sich für die Mauer interessieren könnten, bis hin zur Gaddafi-Familie.
Anne putzt und trifft Verena.
Juri kriegt alle wichtigen Genehmigungen und seine ersten Aufträge. Und dann noch einen Auftrag, noch einen.
Weil er so unkompliziert ist und so schön lacht. Weil Anne so unkompliziert ist und ihn überall hinfährt.
Anne putzt.
Wir machen jetzt die Nummer mit den T-Shirts. Die Nummer mit den T-Shirts wächst, wird größer. Wir werden jetzt Mode-Produzenten, wir entwerfen Slogans, Motive, wir kümmern uns um den Markenschutz, die Deutschlandrechte.
Die Location-Scouts kommen wieder oder kommen nicht wieder, sagen ab oder sagen nicht ab – erst auf Anfrage. »Nach langem Hin und Her hat sich die Sache nun leider erledigt. Vielen Dank und hoffentlich auf ein anderes Mal!«
Die Location-Scouts kommen wieder, kommen nicht wieder. Kommen um 9 Uhr, um 11 Uhr, um 15 Uhr. Empfehlen den Einbau einer besseren Küche, denn Kochspots gingen gerade so gut.
Sagen Dinge wie: »Es ist gut, wenn man die Menschen spüren kann, die hier wohnen.«
Anne fragt sich, ob sie auch den Stress spüren, den sie hat. Die Hochzeit ihrer besten Freundin, zu der sie zu spät kam.
Aber nur leise fragt sie sich das.
Anne putzt, schrubbt, kauft neue Äpfel, hat keine Lust mehr auf neue Äpfel, kauft trotzdem welche.
»Liebe Frau Nürnberger. Das Loft. Wir haben uns ja lange nicht gehört. Aber jetzt haben wir eine Anfrage für Sie, die interessant sein könnte. Wissen Sie: Til Schweiger sucht ein Loft!«
***
Morgen soll es so weit sein. Die Druckerei, bei der wir vorbeigehen, soll auch die coolen Shirts von Boss Hoss gemacht haben. Diskuswerfer Robert Harting war auch da und hat so geschwärmt. Gleich morgens, um 8.30 Uhr, stapfen wir die Kreuzberger Fabriketage hoch, irgendwo im dritten Hof. Es riecht nach Farbe.
Ein junger stylischer Drucker macht uns auf. Shirts sind Kunst, wir sind jetzt Künstler, denke ich – Satire-Künstler. Auch wenn wir nicht so aussehen.
Anne hat ihr Lieblingsmotiv auf einem Ausdruck mit schwarzem Hintergrund dabei.
»So wollen wir es haben«, sagen wir.
Das Motiv, das unsere Fotografin Steffi für uns dekoriert und fotografiert hat, zeigt neun Püppchen, die kopfüber, bäuchlings oder mit den Füßchen in einem mit Blumenerde gefüllten Baumarkt-Blumenkasten stecken, in Gedenken an die Brandenburger Mutter, die ihre Neugeborenen auf dem Balkon vergrub. Und in Gedenken an die anderen Brandenburger Mütter, die ähnliche Schlagzeilen machten.
Der Drucker fragt: »Was ist das denn Feines?«
Da ruft plötzlich jemand: »Anne!«
Ein Drucker mit Bürstenfrisur und hellen leuchtenden Augen, schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, blaues Kapuzen-Shirt ohne Aufdruck, kommt aus einem Büro.
»Was machst du denn hier? Das gibt es ja gar nicht!«
Anne guckt ihn an, guckt mich an.
»Hey, Jan, das ist mein Nachbar aus dem Vorderhaus.«
Dann sprudelt sie los.
»Wir haben eine Kollektion entworfen! Motive aus Brandenburg, Sachen, die alle aufregen, die Baumtoten und so, schwarzer Humor, wie Engländer ihn lieben.« Unsere Kollektion zeige: ein Paar Springerstiefel mit Eicheln dekoriert, einen vollen Aschenbecher vor dem Arbeitsamt, ein Straßenkreuz, einen ausgebrannten Plattenbau. Die Babys gebe es nicht nur als Gruppenfoto, sondern auch als Single-Portrait. Und über allen Bildern stehe dann der Slogan: So fies ist Brandenburg. Auch über den BHs mit dem Ketchup-Blut, wegen der gestiegenen Vergewaltigungsrate.
»Ich bin hier der Chef«, sagt Annes Nachbar.
»Zeig mal«, sagt er und nimmt den Ausdruck in die Hand. »Nicht schlecht, das würde ich gerne machen. Boh, das ist ein bisschen makaber. Aber die Fotos sind so cool.«
»Das kann schon
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