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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Nettigkeiten mit ihnen ausgetauscht. »Wer hätte so etwas gedacht?«, war ihr bedeutungsvollster Beitrag zu Jacobsons Ermittlung. Jacobson beendete das Gespräch und dankte den beiden. Es war den Versuch wert gewesen, sagte er sich. Die Trayners hätten ebenso gut mit den Mortimers befreundet sein können. Die Frauen hätten zweifellos zusammengepasst, was das Aussehen betraf. Vielleicht bestand das Problem darin, dass Mortimer finanziell nicht in derselben Liga spielte wie Trayner. Wohlstand war ein äußerst relatives Konzept.
    Er stieg zurück in den Streifenwagen, gerade noch im Zeitplan für sein nächstes Ziel: die Eltern von Jennifer Mortimer. Die lokalen Medien hatten nicht lange gebraucht, um Wind davon zu bekommen, dass da etwas Größeres im Gange war. Vielleicht hatte einer der von Mick Hume Befragten Stille Post gespielt, vielleicht auch ganz direkt die Gerüchteküche in Gang gesetzt. Pager und Handys des CID arbeiteten mittlerweile mit einer kaum zu knackenden Verschlüsselung, aber die Kollegen von der Streife hatten noch ihren alten Funk und wurden regelmäßig von Kleinganoven, gelangweilten Rentnern und nachrichtenhungrigen Reportern abgehört. Jacobson hatte auf der Fahrt nach Boden Hall die Zwölf-Uhrdreißig-Nachrichten von Crowby FM gehört:
Wie es
heißt, wurde die Mordkommission zu einem Anwesen außerhalb von Crowby gerufen, wo sich ein ernstes Verbrechen ereignet haben soll. Die Ermittlungen sind bereits in vollem Gange. Näheres ist zur Stunde nicht zu erfahren.
Sie würden bald schon eine offizielle Pressemitteilung herausgeben müssen, keine Frage, und da musste vorher jemand mit den Eltern gesprochen haben. Bevor das Medienpack an deren Tür klingelte.
    Ogden kannte sich bestens mit Abkürzungen und Schleichwegen aus und chauffierte ihn auf einer Route durchs Stadtzentrum, die Jacobson nicht für möglich gehalten hätte. Innerhalb von fünfzehn Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht. Beech Park, das Viertel, in dem Jennifer Mortimers Eltern wohnten, lag am nördlichen Rand von Crowby. Bei Polizei und Anwohnern galt die Gegend als »ordentlich«. In den gut erhaltenen ehemals gemeindeeigenen Häusern wohnten hart arbeitende Menschen, die sich mit Hingabe um ihre Familien, Gärten und ziemlich neuen Autos kümmerten. Politiker wie Trayner sprachen vom Rückgrat der Gesellschaft. Jacobson wusste, dass Kerrs Vater ebenfalls hier wohnte. Kerr Senior war der letzte lebende Stalinist, obwohl sein Blick auf die Welt sicher nicht naiv war. Zu Jacobsons Erleichterung stand ein Steifenwagen vor dem Haus der Mortimers. Jemand hatte die Nachricht bereits überbracht. So würde er nur noch seine Informationen sammeln müssen. Er dankte Ogden für seine Hilfe und sagte ihm, er werde sich von dem anderen Wagen mitnehmen lassen. Dann stieg er aus, öffnete das grün gestrichene Gartentor und ging zur Haustür. Die Beamtin, der die undankbarste Aufgabe des Tages zugefallen war, öffnete ihm und ließ ihn herein.
    Jenny Mortimers Eltern schienen in den Siebzigern zu sein. Jacobson sollte im Verlauf des Gesprächs erfahren,dass sie sich für ein Paar dieser Generation erst relativ spät für ein Kind entschieden hatten und Jenny ein Einzelkind geblieben war. Die Mutter tat ihr Bestes, den Tee zu trinken, den ihr die junge Polizistin aufgegossen hatte. Immer wieder stellte sie die Tasse mit zitternden Händen auf dem Tisch ab und wischte sich die Tränen von den Wangen. Neben ihr auf dem Sofa lag eine ›TV Times‹, aufgeschlagen beim Programm des heutigen Tages. Der Vater war ein Läufer. Ein kleiner, drahtiger Kerl mit silbergrauem, kurz geschnittenem Haar. Wieder und wieder machte er die gleichen zwei, drei Schritte im Zimmer auf und ab, die Hände waren in den Hosentaschen vergraben, das Gesicht vorn auf die Brust gesunken. Auf dem Kaminsims stand ein Bowling-Pokal, neben einer ganzen Reihe gerahmter Fotografien: die Frischvermählten direkt nach dem Krieg, er in seinem Demobilisierungsanzug. Das kleine Mädchen auf dem Knie des Weihnachtsmanns und die lächelnde Uni-Abgängerin mit dem schwarzen, eckigen Uni-Hut und dem von einem Band zusammengehaltenen Abschlusszeugnis. In der Mitte die Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Lokomotivführers mit öligen Händen am Fahrerstand einer Dampflok. Jacobson war gut darin, Ähnlichkeiten auszumachen, und so erkannte er den Vater als jungen Mann. Vor langen Jahren: vor dem nach einem gewissen Beeching benannten großen Eisenbahnabbau in den 1960ern, vor dem Altwerden.

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