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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dass sie auf diese Weise einen Hinweis bekommen hätten. Die Übelkeit, die in seinem Magen aufstieg, sagte ihm, dass die äußerliche Untersuchung so gut wie vorüber war. Wenn auch noch die Haarproben genommen waren, würde der Körper gewaschen werden, und dann ging es los: mit dem y-förmigen Schnitt von den Schultern hinunter zu den Genitalien. Die Organe würden herausgenommen und untersucht und auch das Gehirn aus dem Schädel geholt werden, wie eine Walnuss aus der Schale. Und dann würden sie ihre unzähligen Tests durchführen, mit denen sie die Toten – manchmal – noch zum Sprechen bringen konnten.
    Robinson machte eine kurze Pause. Er zog seine Handschuhe aus, wusch sich die Hände, nahm einen Schluck Wasser aus dem Kühler, wusch sich die Hände ein weiteres Mal und zog ein Paar frische Handschuhe an. Jacobson zappelte herum, wie ein rastloser Schüler, den der Pausenhof lockte. Komm schon, alter Junge, los doch. Er wollte sein Team bereits vor fünf zu einer ersten offiziellen Besprechung zusammentrommeln und vorher noch Eric Brown aufspüren. Darüber hinaus musste er sich über den Stand der Operation Johnson informieren. Es gab so viele Dinge, die er tun wollte und musste. Stattdessen saß er hier und war gezwungen, Robinsons grausige Parodie eines chirurgischen Eingriffs zu verfolgen. Ganz gleich, wie gut ausgebildet ein Pathologe war und welche Fähigkeiten er während seines Berufslebens entwickelte, die Patienten vor ihm auf dem Tisch würden nie etwas davon haben. Warum macht er das?, überlegte Jacobson. Warum bringt er keine Babys auf die Welt oder heilt Krebspatienten? Er wandte denBlick ab, als Robinson seinen ersten Schnitt ansetzte. Das waren unbeantwortbare Fragen. Schlimmer noch: Sie betrafen auch ihn selbst.
     
    Kevin Hollands weitere Alibigeber nach Wendy Pelham und Chris Parr waren ein Paar, Josh und Lynne, hatte Holland gesagt. Josh unterrichtete Kunst und Lynne sei im soundsovielten Monat schwanger. Sie wohnten in einem schmalen Reihenhaus auf halbem Weg zu Parrs Plattenladen. Kerr drückte die Klingel, die jedoch nicht zu funktionieren schien, und klopfte deshalb kräftig. Eine dunkelhaarige Frau im Bikini und mit einem riesigen Pinsel in der Hand öffnete ihm. Sie war etwa Mitte zwanzig, groß und schlank. Weniger wohlwollend würde man sie wohl als »anorektisch« bezeichnen, aber wie man es auch sah, im Zustand fortgeschrittener Schwangerschaft befand sie sich ganz gewiss nicht.
    Sie führte Kerr durch den Flur an einem Raum vorbei, der bereits zu fünfzig Prozent zum Kinderzimmer mutiert war. Dahinter lag der Garten, in dem sich eine kleinere und definitiv fülligere Frau lesend auf einem Liegestuhl in der Sonne aalte.
    »Ich bin Josh. Das ist Lynne«, sagte die Große. Lynne sah von ihrem Buch auf und las Kerr die Frage vom Gesicht ab.
    »Künstliche Befruchtung mit Spendersamen«, sagte sie, ergriff Joshs hingehaltene Hand und kicherte. Kerr fühlte sich mit einem Mal wieder wie vierzehn, als er versucht hatte dahinterzukommen, wie Sex funktionierte, wobei er sich sicher gewesen war, dass seine Schwester mehr darüber wusste, als er sich auch nur vorstellen konnte. Sein Hirn spielte ihm vor, was der Vorsitzende Jacobson jetzt wahrscheinlich denken würde:
Die Wunder
der verflixten modernen Wissenschaft, mein Junge.
Aber er behielt seine Eingebung für sich und fragte stattdessen, wann sie Kevin Holland zuletzt gesehen hätten. Nachdem die beiden Hollands Aussage über den Zeitrahmen ihrer Rückkehr von dem Musikfestival bestätigt hatten, klärte er sie über Jenny Mortimer auf. An ihren Gesichtern konnte er ablesen, dass noch niemand aus dem Hause Holland hier angerufen hatte.
    »Haben Sie Mrs Mortimer je persönlich kennengelernt?«, fragte er.
    Lynne schüttelte den Kopf. Josh sagte nein, aber sie hätten Kevin oft genug von ihr reden hören.
    »Er war verrückt nach ihr, völlig verzaubert. Früher war er etwas unstet, aber ich glaube, jetzt sieht er keine anderen Frauen mehr. Mit den Augen, meine ich.«
    Lynne stand auf und sagte, sie habe vorerst genug von der Sonne. Kerr sah sie nach drinnen watscheln. Nicht zum ersten Mal wunderte er sich über die biologischen Imperative der Elternschaft. Wie sehr sie an seiner eigenen Frau gezerrt hatten, und wie wenig an ihm. Sie hatten keinen Samenspender gebraucht, aber doch Jahre voller Tests und Verkehr nach dem Kalender, bis Cathy plötzlich und unerwartet, nach einem alkoholisierten Abend mit Streit und lustvoller

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