Reich und tot
Kerr. Ihn wegen Mord eingebuchtet zu sehen, musste auf der Wunschliste gleich an zweiter Stelle kommen. Er schloss die Tür zu Mortimers Vorzimmer und dessen eigentlichem Büro auf und setzte sich hinter den Schreibtisch. Warum nicht gleich hier anfangen und die Welt aus der Perspektive des Verdächtigen in den Blick nehmen?
Mortimer war sechsundvierzig, geboren und aufgewachsen in Luton, wo sein Dad Vorarbeiter bei Vauxhall gewesen war. Nach der Schule hatte er am Imperial College in London Elektrotechnik studiert und anschließend gleich seine steile Karriere im Industriemanagement begonnen. Er bekam seine erste Firmenleitung mit achtundzwanzig und brachte bis zu seinem Job in Crowby noch ein halbes Dutzend weiterer Stationen hinter sich, jede mit ein bisschen mehr Geld und Verantwortung. Kerr suchte in den Schreibtischschubladen herum, fand aber nichts Bemerkenswertes. Er stieß auf ein Exemplar des Produktkatalogs von Planet Avionics, legte die Füße auf den Tisch – tat Mortimer das auch gerne? – und blätterte durch die Seiten. Präzisionsmessgeräte und Flugzeuginstrumente schienen das Hauptgeschäftsfeld auszumachen. Die ArtInstrumente, nahm Kerr an, die dafür sorgten, dass Flugzeuge und Hubschrauber am Himmel blieben und nicht rund um die Rollbahn und in der Abflughalle einschlugen. Er stand auf und ging zum Aktenschrank neben dem Fenster, der nicht abgeschlossen war. Somit standen die Chancen nicht besonders gut, dass er etwas Interessantes enthielt. Nicht, dass Kerr eine klare Vorstellung davon gehabt hätte, was ihn interessieren würde, abgesehen natürlich von einem Elektroschockknüppel, an dem Jenny Mortimers DNA klebte. Wovon träumst du eigentlich nachts, Kumpel?, dachte er und blätterte durch Rechnungen, Steuerunterlagen und detaillierte Beschreibungen von Tachometern und Höhenmessern.
Anders als der Laptop in Mortimers Wohnzimmer fuhr der Computer hier sofort hoch, ohne ihn wegen eines Passworts zu nerven. Natürlich konnte da etwas versteckt sein, auf den ersten Blick schien jedoch alles äußerst gewöhnlich und langweilig. Listen mit Zulieferern, Memos an die Geschäftsführung, Mitteilungen an diese und jene Abteilung. Er konnte keine der Tabellen öffnen,
dafür
hätte er Passwörter gebraucht, aber wahrscheinlich hätte er auch dort nichts Interessanteres gefunden als Verkaufszahlen und persönliche Anmerkungen. Aus einer Laune heraus klickte er auf das Symbol des Internet Explorers. Kerr hatte im Sommer zuvor bei der Metropolitan Police in London den Kurs für computergestützte Ermittlungen absolviert – weil es ihn interessierte, hauptsächlich aber, weil das fünf Nächte in einem Londoner Hotel mit Rachel bedeutet hatte. Er gab die Webadresse der ›Financial Times‹ ein und suchte unter dem Stichwort »Planet Avionics«. Alles, was daraufhin zu lesen war, bestätigte die Behauptungender Firmenbroschüre: Planet Avionics war ein fortschrittliches Unternehmen mit einem fortschrittlichen Chef. Kerr wollte den Browser schon wieder schließen, als ihm der Gedanke kam, eine Suche nach Gus Mortimer selbst durchzuführen. Die Suchmaschine der ›Financial Times‹ antwortete mit sechs Treffern. Die ersten vier waren Dokumente über Planet Avionics, in denen von Mortimer die Rede war. Hinweis fünf führte ihn als Teilnehmer an einer Vergnügungsfahrt des britischen Arbeitgeberverbandes in den Belfry Golf Club auf. Nicht schlecht, wenn man dabei ist, dachte er.
Es war der älteste Verweis, Nummer sechs, der Kerr ein lautes »Ja!« entlockte.
Robert Johnson joggte die Mill Street bis zur Hayle Close hinunter und dort auf das dürre Stück Ödland, das als Barriere zum inneren Ring diente, hauptsächlich aus zerfurchter, nackter Erde bestand und mit Müll übersät war. Er fand dennoch ein kleines Stück Gras, auf dem kaum Hundedreck war. In schneller Abfolge machte er hundert Liegestütze, und gleich noch einmal hundert. Die Hayle Close bestand aus lauter heruntergekommenen Reihenhäusern, über die mittlerweile selbst Hausbesetzer die Nase rümpften. Die Stadtverwaltung hatte bereits vor anderthalb Jahren den Abriss beschlossen, passiert war aber noch nichts. DC Aston kauerte sich hinter den Rest einer Gartenmauer ganz am Ende der Häuserreihe. Er nahm sich vor, ab dreihundert nicht mehr mitzuzählen, aber Johnson ließ es schon bei zweihundertfünfzig gut sein, sprang zurück auf die Füße und schien kaum außer Atem. Zwischen Hundehaufen und verrosteten Bierdosen fing jetzt
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