Reich und tot
auf dem Tisch in der Leichenhalle, Fotokopien aus Lehrbüchern und Fachzeitschriften, eine Menge Abbildungen, Diagramme und eng gedruckte Sätze. Zu guter Letzt gab er ihnen ein Dutzend zusammengehefteter DIN-A 4-Blätter . Jacobson fiel ein vertraut wirkendes Logo mit einer Kerze und Stacheldraht darauf auf.
»Ich habe Ihnen das aus dem Internet herausgesucht«, sagte Robinson. »Es erklärt das Ganze ziemlich gut mit, nun ... einfachen Worten.«
Es war ein Bericht von Amnesty International. Jacobson sah das Inhaltsverzeichnis durch:
Die Ausbreitung moderner Elektroschockwaffen ... Tatsächlicher und bestimmungsgemäßer Gebrauch ... Schwieriger Nachweis . . . Anhang eins: Länder, in denen mit Elektroschocks
gefoltert wird.
Er reichte die Blätter an Kerr weiter, steckte seine Zigarette an, hielt sie jedoch mit ausgestrecktem Arm auf Abstand, während Kerr durch die Seiten blätterte.
»Sind Sie sich sicher?«, fragte Jacobson.
»Zu neunundneunzig Prozent«, sagte Robinson. »Ich kenne jemanden in Oxford, einen alten Freund aus dem Studium. Ich habe ihn um eine zweite Meinung gebeten, nur um sicherzugehen.«
Elektroschockknüppel, Elektroschockpistolen, Taser, las Kerr, konnten breit eingesetzt werden, mit böser Wirkung. Zur Kontrolle von Menschenansammlungen zum Beispiel. Hol die Knüppel heraus, und deine Demonstranten nehmen die Beine in die Hand und räumen in Sekundenschnelle das Gelände vor deiner Botschaft oder deinem Amtspalast. Berühre sie damit, und sie laufen nirgends mehr hin, bekommen fünfzigtausend Volt verpasst und liegen reglos am Boden, zittern, urinieren und koten sich voll.
Der Strom sucht sich Wege mit niedrigem Widerstand durch den menschlichen Körper, zum Beispiel Blutgefäße und Nervenstränge. Mit jedem Impuls durchfährt ein Schock den Körper, einschließlich des Gehirns und des zentralen Nervensystems.
Gefangene ließen sich damit brutal misshandeln. Stromschläge in die Hoden, den Mund, die Zunge – überallhin. Verglichen mit traditionellen Methoden gefielen die Elektroschockknüppel besonders dem modernen, informierten, fortschrittlichen Folterer, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie hinterließen relativ wenig Spuren auf dem Körper des Opfers, ihr Gebrauch war nur schwer nachzuweisen. Kerr legte den Bericht auf den Tisch. Ihm war schlecht. Die wenigen Spuren, die es gab, verblichen meist nach wenigen Tagen. JennyMortimer war jedoch kaum mehr als vierundzwanzig Stunden tot, und die charakteristischen winzigen roten Flecken waren laut Robinson ein eindeutiger Indikator für eine Elektroschockfolter. Sie waren immer noch auf den Brüsten, dem Rücken und den Schenkeln ihres weggeworfenen, geschändeten Körpers zu sehen.
Maddy Taylor saß im Frühstücksraum des »Riverside Hotels« und aß eine Schüssel Müsli mit frischen Früchten und Naturjoghurt. Dazu trank sie Grapefruitsaft und eine Tasse schwarzen, ungesüßten Kaffee. Mutt und Jeff dagegen gönnten sich ein volles englisches Frühstück und tranken ihren Tee mit Zucker. Mutt war der Cheffotograf des ›Update‹, hieß eigentlich Matthew Summers, nannte sich aber Mutt, wenn er mit Jeff zusammenarbeitete. Jeff hieß eigentlich Geoff Clarke, war der Ältere der beiden und freiberuflich tätig. Er war angeblich ebenfalls Fotograf, mit seinen knapp ein Meter neunzig und den hundertachtzig Pfund Muskelmasse aber tatsächlich der Bodyguard des ›Update‹ und wurde mit den Schreibern zu Aufträgen wie dem hier in Crowby geschickt, wo es definitiv zu Stress kommen konnte.
Maddy nippte an ihrem Kaffee und lächelte.
»Es sieht gut aus, Jungs«, sagte sie.
Mutt und Jeff nickten und schaufelten weiter Speck und Bohnen in sich hinein. Der Anruf vom CID Crowby war ein Geschenk des Himmels, ein völlig unerwartetes kleines Präsent. Der Chef-Schnüffler hatte Maddy zu einem Plausch eingeladen, und sie hatte das Angebot überschwänglich angenommen. Was tatsächlich passieren würde, wenn sie zusammen mit Mutt und Jeff und Mr und Mrs Barnfield in der Bullenstation einlief,stand in den Sternen. Aber es würde mit Sicherheit ein großer Spaß werden, es herauszufinden.
Nachdem sie gegessen hatten, fuhr Jeff mit dem Wagen vor. Maddy setzte sich nach hinten, Mutt auf den Beifahrersitz. Die Augen hinter einer Retro-John-Lennon-Brille versteckt, studierte er den Stadtplan von Crowby. Das Viertel selbst fanden sie ohne große Schwierigkeiten, spezifische Straßen und Adressen ließen sich nicht ganz so einfach
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