Reich und tot
Daten drauf.«
Kerr sah ihm über die Schulter: Posteingang, Postausgang, Gesendete Objekte. Noch mehr langweilige Nachrichten zu Bestellungen, Verkaufszahlen und Produktionszielen. Das Einzige, was auf den ersten Blick anders schien als in Mortimers Büro, war die ungeheure Menge der Mails. Auf dem Computer bei Planet Avionics war keine Mail älter als zwei Wochen gewesen. Horton nahm an, dass das Programm dort alle älteren Mails automatisch löschte.
»Und warum hat er dann hier Mails gespeichert, die weiter als ein Jahr zurückreichen?«, fragte Kerr.
»Viele Leute machen das so«, antwortete Horton im bemüht geduldigen Ton des unterforderten Experten. »Sie benutzen ihren Laptop hauptsächlich als Backup.«
Kerr scrollte die Betreff-Zeilen im Eingangskorb herunter. »Betrifft Ihren Auftrag vom . . .«, »Produktionsbonus . . .«, »Unsere Verkaufskampagne im Juni . . .« ... Eine entsetzlich öde Litanei. Da stach »Wir werden Sie umbringen« heraus wie ein Fünfundzwanzig-Zentimeter-Schwanz in einem Harem.
Faith Lawson, Gus Mortimers Kurzzeitsekretärin, wohnte in Longtown. Sie lebte mit ihrem Freund Mark Jones zusammen, der aber lieber Snake, die Schlange, genannt wurde. Die Wohnung lag im zweiten Stock, hatte eine winzige Küche, ein noch winzigeres Bad und einen Wohnraum, der gleichzeitig Schlafzimmer und alles andere war. Das Beste war noch die Tatsache, dass sich der untere Teil des altmodischen Fensters ganz hochschieben ließ, durch das an diesem Sonntagnachmittag maximale Mengen Luft und Sonnenschein in die Wohnung kamen. Trotzdem war das Zimmer in dicken blauen Rauch gehüllt. Faiths und Snakes Vorstellung von einem super Nachmittag schien sich auf das Sofa, den C D-Player und die selbstgebastelte Wasserpfeife mit Skunk Weed zu beschränken, die Emma Smith, um die Schwingungen nicht zu stören, geflissentlich übersah. Das Gute war, dass das Zeugs die beiden herrlich unbekümmert und gesprächig machte, wenn sie nicht gerade ihre Zwei-Minuten-Paranoia hatten.
Ungefragt drehte DC Williams die Lautstärke herunter: Die Ozric Tentacles, von denen er noch nie zuvor gehört hatte, waren absolut nicht sein Ding.
»Seit zwei Wochen bin ich da und soll noch eine Woche bleiben«, sagte Faith. »Aber ich bin nicht sicher, ob ich noch mal hingehe, jetzt, wo . . .«
»Ruf morgen einfach die Agentur an und besorgdir’n anderen Job«, riet ihr Snake und versuchte, sie in ihre unterbrochene, zugedröhnte Umschlingung zurückzuziehen. Doch sie rückte ein Stück von ihm ab, setzte sich vorne auf die Sofakante und schob sich das pechschwarze Haar aus der Stirn. Emma Smith fragte sie, wie es gewesen sei, für Mortimer zu arbeiten. Was war er für ein Typ?
»Der ganz normale Gruselkasper. Nicht schlimmer. Manchmal hab ich gespürt, wie er mich angeglotzt hat, aber er hat nie was gesagt oder versucht. Da hatte ich’s schon schlimmer. Sieht ja ganz gut aus, würde ich sagen«, sie zielte mit einem leuchtend grünen Kissen nach ihrem Freund, »aber ich steh nun mal nicht auf gut aussehend.«
»Was war mit den anderen Angestellten? Mochten die ihn? Oder nicht?«
»Ich rede mit denen normalerweise nicht viel. Deswegen mag ich Zeitarbeit. Babys, Urlaub, die neue Waschmaschine, die reden nie über was Echtes, worüber sich’s zu reden lohnt.«
»Hirntot eben«, warf Snake aus der Entfernung ein, drückte das Kissen an sich und blieb immer noch liegen.
»Arbeit. Konsumieren. Arbeit. Die Beklopptenarmee.«
»Und was machen Sie so, Sunnyboy?«, fragte DC Williams.
Snake konzentrierte sich gerade auf den Raum zwischen den Dingen, und dass das eigentlich gar kein Raum war, mehr so eine Art unterschwellige Substanz. Ein letzter Rest Überlebensinstinkt bündelte sein Denken auf diese Frage.
»Uni halt. Und jetzt gerade Sommerferien.«
»Es gab also keine Gerüchte über den großen Boss?«, fragte Emma und kam damit zurück zur Sache.
»So’ne alte Nette sagte mir zu Anfang, ich solle den ersten Tag aufpassen. Als wenn er den Ruf hätte, was zu probieren. Hat er aber nicht. Vielleicht bin ich nicht sein Typ.«
»Hatten Sie Kontakt mit seiner Frau?«
»Hat ein paarmal angerufen, er sie auch. Nicht jeden Tag allerdings. Ich habe sie nur durchgestellt. Zum Zuhören schien mir das zu langweilig.«
Snake hob den Kopf ein paar Zentimeter.
»Da geh’n wir doch lieber in ’nen Chatroom, was, Süße?«
Das Mädchen versuchte, ihm das Kissen aus den Händen zu winden, doch er hielt es fest. Sie fiel
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