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Reiche dem Tod nie die Hand (German Edition)

Reiche dem Tod nie die Hand (German Edition)

Titel: Reiche dem Tod nie die Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Reddas
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er.
    Innerlich klopfte sein Herz bis zum Hals. Dass er, der Abkömmling einer Arbeiterfamilie, es bis hierher geschafft hatte… Sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen, wenn er noch leben würde. Sonja dagegen stammte aus einer wohlhabenden Familie, die ihr das Studium der Molekularbiologie leicht hatte ermöglichen können. Er dagegen hatte sich oft mit zwei oder drei zusätzlichen Jobs über Wasser halten müssen. Gelernt hatte er dafür bis spät in die Nacht hinein. Aber diese Zeiten waren jetzt vorbei. Und das Wohnen in der chaotischen WG auch. Ihre Zimmerschlüssel für den Wohntrakt hatten sie ebenfalls bereits erhalten, durften aber nur einen kurzen Blick hineinwerfen. Außer den Praktikanten lebte noch das Hausmeisterehepaar Koslowski hier und achtete auf die Einhaltung der Hausordnung. Die Räume glichen denen in einer Jugendherberge, spartanisch eingerichtet, aber sauber und mit einem eigenen Bad und einem Fernseher. Essen gab es umsonst in der Kantine. Und das Gehalt war für einen Praktikanten gar nicht schlecht, fand Thomas. Er war zufrieden.

    Für die „Neuen“ war es nicht einfach, sich von dem sonst so lebhaften Studentenleben in dieses stille, schematische Arbeiten einzuleben. Selbst in der Kantine wurde kaum über die Arbeit gesprochen. Man war höflich zueinander, beschränkte sich aber im Umgang auf das Nötigste. Das war alles. Niemand schien hier wirklich Interesse an den persönlichen Belangen und Sorgen des anderen zu haben. Das einzig „Laute“, was hier in letzter Zeit die Ruhe unterbrach, war eine Feuerwehrübung.

    Drei Monate nach Ankunft der neuen Praktikanten geschahen die ersten seltsamen Begebenheiten. In der Nacht hatte Thomas mit seinen Freunden aus der ehemaligen WG noch seinen vierundzwanzigsten Geburtstag in einer urigen Berliner Kneipe gefeiert und war erst spät in der Nacht wieder in das Institut zurückgekehrt. Außerdem hatte er einen leichten Schwips. Ein Taxi brachte ihn bis vor das Wachtor. Hier musste er, wie immer, seinen Ausweis vorzeigen, und wurde als „Eingang“ registriert - mit Datum und Uhrzeit. Leise den zuletzt gehörten Song von Robbie Williams summend begab er sich zum Seitenflügel des Gebäudes. Dabei bemerkte er, dass in den unteren Geschossen noch Licht brannte. Diese Stockwerke waren für nicht für jedermann zugänglich.
    „ Jetzt machen die hier schon Nachtschicht“, dachte er.
    In den letzten Wochen hatte er nichts anderes als Zellpräparate kultiviert, ausgewertet und katalogisiert. Eigentlich hatte er sich mehr unter dieser Anstellung vorgestellt und war eher enttäuscht. So was konnte schließlich jeder Medizinstudent im dritten Semester. Dennoch beschloss er für sich, durchzuhalten und das volle Praktikumsjahr zu absolvieren. Dabei war ihm hier noch niemand begegnet, der nach seinem Praktikum übernommen worden wäre. Der junge Mann hatte den Wohntrakt fast erreicht, als er am Hintereingang für die Lieferanten einen Krankenwagen der Charité bemerkte. Ohne Beleuchtung und Blaulicht. Der Wagen war mit der Rückseite zum Tor eingeparkt. Neugierig trat Thomas näher. Zwei Männer in Notarztkleidung kamen mit einer Bahre aus dem Institut. Der Körper darauf war mit einem weißen Tuch abgedeckt. Sie öffneten den Wagen, schoben die Bahre hinein und fuhren wieder los. „Merkwürdig.“
    Am nächsten Tag – einem Sonntag – hatte Thomas einen freien Tag genießen. Nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen und sich frisch gemacht hatte, war es bereits Mittag. Er beschloss, in der Stadt etwas zu essen. Am Tor traf er auf Sonja, die ebenfalls heute dienstfrei hatte. Sie grüßte ihn freundlich. Zum ersten Mal fiel ihm auf, warum hier alle so distanziert miteinander umgingen. Jeder hatte Angst, vielleicht etwas zu viel zu verraten. Etwas, das auf seine Arbeit hindeutete. Dabei empfand Thomas diese Tätigkeit hier als nichts Besonderes. Am liebsten hätte er Sonja gefragt, was sie denn so machte. Stattdessen fragte er nur, ob er sie zur Bushaltestelle begleiten dürfte, die sich nur wenige Meter vom Institut entfernt befand. Sonja stimmte zu. Sie unterhielten sich zunächst über belanglose Dinge, aber Thomas spürte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag.
    Endlich rückte sie mit der Sprache raus: „Sag mal, hast du bei uns im Institut schon mal ein Kind gesehen?“
    Thomas blickte sie erstaunt an.
    „Wie kommst du denn darauf?“
    Sie zögerte. „Na ja, gestern, als ich Feierabend machen wollte, kam es mir so vor, als ob ich in den Kellerlaboren

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