Reiche dem Tod nie die Hand (German Edition)
ein Baby schreien hörte. Aber das kann doch unmöglich sein, oder?“
Thomas schüttelte den Kopf.
„Vielleicht hat jemand von den Angestellten sein Kind zur Arbeit mitgebracht?“, mutmaßte er.
Sonja schien erleichtert. „Hm, ja, das wird es sein.“
Der Bus in die Innenstadt rollte heran. Sonja lief los.
„Dann bis später!“
Ein leichter Regen setzte ein.
Iris, die auch zu den Neuen gehört hatte, stieg aus dem Bus. Mit Tränen in den Augen rannte sie grußlos an Sonja und Thomas vorbei, der ihr verwundert nachblickte. Den Grund dafür erfuhr er ein paar Tage später in der Kantine. Iris Bernau, die in der Mikrotechnologie arbeitete, war wohl ungewollt von ihrem Freund schwanger geworden und fürchtete, jetzt ihren Job im Institut zu verlieren. Einer der jungen Doktorassistenten am Tisch winkte ab.
„So was macht der Friedrichs nicht. Der hat noch nie jemanden gefeuert. Allerdings wird sie nicht mehr im Labor arbeiten dürfen. Das ist Vorschrift.“
„Hat er eigentlich schon mal einen Praktikanten übernommen?“, fragte Thomas ihn jetzt direkt. „Hm, soweit ich mich erinnern kann, nicht. Aber so lange bin ich auch noch nicht hier. Die meisten gehen sowieso wieder, weil denen der Job hier zu langweilig ist.“
„Kann ich mir denken“, gab Thomas im Stillen zur Antwort, sagte aber nichts.
In der Herzchirurgie der Charité war eine Operation in vollem Gange. Einer der führenden Regionalpolitiker, der auch bei der kommenden Wahl kandidieren wollte, sollte einen Herzschrittmacher bekommen, obwohl er erst Anfang fünfzig war. Martin von Astern, Sonjas Vater, war ein kritischer, aber gerechter Mann und Volksvertreter. Einer der wenigen, die immer gegen die Zweiklassenmedizin und die Willkür der Pharmakonzerne gewettert und sich politisch für die wachsende Unterschicht eingesetzt hatte. Seit frühester Jugend hatte eine seiner Herzklappen nicht richtig funktioniert. Nun war es Zeit für eine Operation, wenn er sein Leben verlängern wollte. Er hatte sich selbst nun das beste und teuerste Modell gewünscht und das bekam er auch. Es war gerade neu auf den Markt gekommen – hergestellt von einem Pharmakonzern namens BioControl. Vier Wochen später war er tot. Der Gerichtsmediziner, der eine Obduktion machte, konnte nur einen natürlichen Tod durch Herzstillstand feststellen. Der Schrittmacher funktionierte einwandfrei. Sein Tod wurde sogar von seinen politischen Gegnern und der Presse bedauert. Seiner Tochter Sonja brach es das Herz, ebenso wie ihrer Mutter, einer zarten Frau, mit deren Gesundheit es auch nicht zum Besten stand.
Thomas versuchte, seine junge Kollegin zu trösten. Zugegeben, er war schon lange ein wenig verliebt in die hübsche Brünette, die sonst so kess in die Welt schaute. Seit sie zusammen auf die Uni gegangen waren, aber er spielte eben nicht in ihrer Liga. Erst der Trauerfall gab ihm die Gelegenheit, sie näher kennenzulernen.
„Ich verstehe das nicht“, schluchzte sie eines Abends, als sie in seinem Zimmer noch einen Instantkaffee tranken.
Thomas hatte seinen Raum mit Postern und einigen persönlichen Dingen verschönert, sodass er nun fast gemütlich wirkte.
„Er war nach der Operation so fit, so lebenslustig. Und dann – ist er auf einmal nicht mehr da.“
„Und es gab wirklich keinen Defekt an diesem neuen Gerät?“
Sonja schüttelte den Kopf.
„Nein, sie haben nichts festgestellt.“
„Wer hat nichts festgestellt?“
„Na, die Polizei und so. Es gab doch eine Untersuchung, weil Paps ja auch in der Politik nicht sehr beliebt war. Und diese ganzen Heuchler schreiben jetzt, wie sehr er ihnen doch fehlen wird. Blah, blah!“
Sonjas Stimme klang wütend und traurig zugleich. Thomas legte den Arm um sie.
„Sag mal“, begann er vorsichtig, „wozu arbeiten wir eigentlich hier in diesem tollen Laden? Versuch doch mal, an den Schrittmacher heranzukommen und wir testen ihn selbst, damit gehen wir auf Nummer sicher! Alle Geräte sind doch vorhanden!“
Sonja blickte auf.
„Denkst du wirklich? Aber wie soll ich das anstellen? Die Beerdigung ist doch schon übermorgen?“ „Hm“, überlegte Thomas. „Vielleicht sollten wir dem Bestattungsunternehmen einen kleinen Besuch machen?“
„Warte mal!“ Sonja sprang auf. „Das Ding ist noch in der Charité bei diesem Pathologen, der Paps untersucht hat. Die werden es doch einer Leiche nicht wieder eingepflanzt haben.“
„Na, das ist einfach. Ihr habt das Gerät doch bezahlt, also gehört es euch. Morgen
Weitere Kostenlose Bücher