Reid 2 Die ungehorsame Braut
Situation augenscheinlich falsch eingeschätzt hatte.
»Gütiger Gott, wie kommen Sie denn auf solch eine abstruse Idee?«
Nachdem Ophelia sich wieder einigermaßen gefangen hatte, fragte sie: »Welchen Grund sollten Sie sonst haben, mich hierherzubringen?«
»Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, wüssten Sie bereits, was mich dazu veranlasst hat. Aber nein, Sie mussten mir ja ins Wort fallen. Als Erstes gebe ich Ihnen mein Wort, dass Ihr Aufenthalt hier nicht zu Ihrem Nachteil gereichen und auch keinen Skandal nach sich ziehen wird. Aus dem Grunde habe ich meine Tante mitgenommen.«
»Warten Sie nur, bis mein Vater von dieser Freveltat erfährt«, zischte sie.
»Freveltat? Wovon sprechen Sie, meine Liebe? Davon, dass die Lockes Sie ganz offiziell auf einen Besuch eingeladen haben? Dass ich mich dafür einsetze, Ihnen einen guten Start in die Saison zu ermöglichen? Ihr Vater ist übrigens längst darüber im Bilde, dass sich seine Tochter in meiner Obhut befindet. Ich war umsichtig genug, ihm vor unserer Abreise von Summers Glade eine entsprechende Nachricht zukommen zu lassen.«
»Ein Besuch? Ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen?«
»Hätten Sie denn angenommen?«
Raphael wirkte, als gäbe es auf die Frage nur eine einzige Antwort. Erfreut darüber, ihm widersprechen zu können, sagte sie: »Nein, natürlich nicht.«
»Meinen Sie, Ihr Vater hätte Ihre Meinung geteilt?«
»Nein. Er hätte mich im Notfall sogar persönlich vor Ihrer Tür abgeliefert«, antwortete sie und konnte nichts gegen die vermaledeite Verbitterung tun, die sich schon wieder in ihre Stimme schlich.
Als Raphael ihr voller Selbstgefälligkeit antwortete, wünschte Ophelia sich, sie hätte den Mund gehalten. »Habe ich es mir doch gedacht.«
Mit finsterem Blick erinnerte sie ihren Gesprächspartner daran, dass sie diejenige war, deren Erlaubnis er einholen musste. Doch selbst dieser durchaus berechtigte Einwurf konnte seiner Blasiertheit nichts anhaben.
Raphael besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit, sie mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zu korrigieren: »Hat die Episode mit Duncan Sie denn nicht gelehrt, dass Ihre Eltern das Sagen über Ihr Leben haben? Das mag Ihrer Meinung nach ungerecht sein, aber das ändert nichts an den landläufigen Gepflogenheiten.«
Da war er wieder, der kecke, sardonische Locke. Dieser Unhold hatte auch noch Spaß daran, sie mit der Nase darauf zu stoßen, wie wenig Kontrolle sie über ihr eigenes Leben besaß.
»Wenn mich nicht alles täuscht, befinden wir uns hier nicht bei Ihnen zu Hause«, versuchte sie, ihn aus der Reserve zu locken. »Wo, in Gottes Namen, haben Sie mich hingebracht?«
»Nach Northumberland.«
»Das ist ja fast schon Schottland.«
»In der Tat, die Grenze ist lediglich einen Steinwurf entfernt.«
»Mit anderen Worten, Sie haben meinem Vater eine Lüge aufgetischt?«, sagte sie triumphierend. »Ihre Familie lebt gar nicht hier. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, wird er...«
»Sie kennen die Wahrheit doch noch gar nicht, Ophelia«, unterbrach er sie unwirsch. Allmählich wurde auch er ungehalten. »Lassen Sie uns hoffen, dass Sie in Bälde eine bessere Sicht auf die Dinge erlangen, bevor Sie Ihrem Vater das nächste Mal unter die Augen treten.«
»Sie meinen damit, Sie hoffen das«, antwortete Ophelia spitzfindig und spiegelte seine Selbstgefälligkeit wider.
»Nein«, lautete die nachdenkliche Antwort. »An meiner Wortwahl gibt es nichts auszusetzen. Zumal Sie nicht eher von hier abreisen werden, bis Sie Ihr Leben umgekrempelt haben.«
Ophelia schnappte empört nach Luft. »Sie können mich nicht gegen meinen Willen hier gefangen halten.«
»Und weshalb nicht?«
Diese Antwort war so hanebüchen, dass Ophelia aufsprang und ihn anschrie: »Weil Sie kein Recht dazu haben!«
»Reagieren Sie immer so heftig, wenn etwas nicht so läuft, wie Sie es sich vorstellen?«
»Nur, wenn ich bis aufs Blut gereizt werde.«
Raphael schnalzte mit der Zunge. »Mit Verlaub, aber ich habe nichts dergleichen getan. Bitte mäßigen Sie sich, denn ich dulde keine Theatralik. Wenn Sie jetzt die Güte hätten, sich wieder zu setzen, sich still zu verhalten und mir zuzuhören? Es ist nämlich an der Zeit, Sie den eigentlichen Grund für Ihre Anwesenheit in Northumberland wissen zu lassen.«
»Der da wäre?«
»Ich möchte Ihnen zu einem glücklicheren Leben verhelfen.« Er hielt kurz inne, um dann hinzuzufügen: »Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes weismachen, Sie hätten ein
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