Reid 2 Die ungehorsame Braut
immer genug Zeit. Was ihn ein wenig erstaunte, war, dass Duncan in einem Punkt recht zu behalten schien. Ophelia war felsenfest davon überzeugt, dass es nichts gab, wofür sie sich schämen müsste. Aus ihrer Sicht sah es so aus, als gäbe es an ihrem Betragen nichts auszusetzen. Vielleicht hatte sie es bislang einfach nur versäumt, sich ihr Verhalten und die Reaktion ihrer Umwelt aus der Distanz anzusehen. Beim Allmächtigen, schoss es ihm durch den Kopf, ist es jetzt schon so weit, dass ich ihretwegen nach Entschuldigungen suche? Er schüttelte sich.
Allerdings musste er sich eingestehen, dass ihre atemberaubende Schönheit ihn stärker in den Bann zog, als ihm lieb war. In einem besonders schwachen Moment hatte er sich sogar dabei ertappt, dass er ihren Wutausbruch am liebsten mit einem langen, sinnlichen Kuss beendet hätte. Wo, zum Teufel, war dieser Gedanke nur hergekommen? Als radikale Gegenmaßnahme beschloss Raphael, sie fortan nicht mehr anzusehen.
Entrüstet darüber, dass seine Gedanken ihn um den Schlaf brachten, warf er sich auf die andere Seite und drosch mit der Faust in sein Kissen.
»Warum tun Sie das?«
Raphael, der sich auf dem Weg zum Esstisch befand, würdigte Ophelia, die bereits Platz genommen hatte, keines Blickes. Er kostete den Augenblick aus. Wie lange sie wohl schon auf sein Eintreffen gewartet hatte? Ein flüchtiger Blick auf ihren Teller verriet ihm, dass sie bereits gefrühstückt hatte.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich erst eine Kleinigkeit zu mir nehmen, ehe wir mit der Arbeit beginnen?«
»Doch, habe ich.«
»Dann betrachten Sie dies als Gelegenheit, die gestrige Lektion zu wiederholen.«
Ehe Ophelia etwas erwidern konnte, betrat Nan, die älteste Tochter des Verwalters, den Frühstückssalon, einen Teller in den Händen. Sie und ihre Mutter Beth waren am Vortag gerade noch rechtzeitig eingetroffen, um den Gästen ein kaltes Abendessen zu servieren. Sowohl Mutter als auch Tochter waren einfache, hilfsbereite Frauen vom Lande, die das Herz am richtigen Fleck trugen.
»Die Ausbeute ist recht mager, Mylord«, warnte Nan ihn, als sie ihm den Teller servierte. »Mein Vater ist zum Markt gefahren, um die Vorratskammern aufzufüllen, und wird nicht vor heute Abend oder morgen früh zurück sein. Und die Speisekammer gibt nicht sehr viel her.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen, ich habe vollstes Verständnis«, sagte Raphael und lächelte Nan an. »Schließlich bin ich ja auch unangemeldet aufgetaucht, und dann auch noch mit vier fremden Damen.«
Mit einem Nicken eilte das schüchterne Mädchen zurück in die Küche.
Die ganze Zeit über hatte Ophelia unablässig mit den Fingern auf dem Tisch getrommelt. Raphael starrte auf ihre Hand.
»Das sieht mir nicht sehr nach Geduld aus«, sagte er streng.
»Wie ich bereits sagte, Geduld gehört nicht gerade zu meinen Stärken. Eine meiner wenigen Charakterschwächen, wenn Sie es genau wissen wollen.«
Raphael war erleichtert, dass sie sich wenigstens eines zivilisierten Tons bediente, auch wenn sich das jeden Augenblick ändern konnte. »Sie geben also zu, Schwächen zu haben. Würden Sie nicht gern ein Leben ohne diese Schwächen führen?«
»Welch eine Frage. Natürlich. Aber Sie sind der Letzte, den ich dabei um Hilfe bitten würde«, entgegnete sie.
Raphael, der gerade dabei war, sich eine Scheibe frisch gebackenen und leicht gerösteten Brots mit Butter zu bestreichen, fragte: »Wie alt sind Sie? Achtzehn? Neunzehn? Und können sich nicht in Geduld fassen? Sie brauchen dringend Hilfe, und ich hätte nichts dagegen, die Rolle des Lehrers zu spielen.«
»Sie meinen wohl eher die Rolle des Teufels?«
Mit einem Glucksen warf Raphael ihr einen Blick zu. »Man hat mir schon Schlimmeres an den Kopf geworfen, und ja, Sie werden mich in noch schlechterem Licht sehen, ehe wir hier fertig sind. In der Zwischenzeit werden Sie meine Hilfe dankend annehmen.«
Ophelias Antwort bestand aus einem lauten Schnauben, woraufhin Raphaels Glucksen sich zu einem Lachen auswuchs. »Verstehe, aber dankend trifft es nicht annähernd.«
Ophelia schleuderte funkelnde Blicke über den Tisch, doch Raphael zuckte lässig mit den Schultern und ging dazu über, sie wieder zu ignorieren. Dem Anschein nach konzentrierte er sich auf das, was vor ihm auf dem Teller lag. Innerlich jedoch verfluchte er sich, weil er sie angesehen hatte. Sie sah aber auch verdammt gut in ihrem dunkelrosa Morgenmantel aus. Und er mochte ihr Haar, das sie zu
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