Reid 2 Die ungehorsame Braut
Kindchen, das steht Ihnen nicht. Spielen Sie mit offenen Karten, und Sie werden als Siegerin aus dieser Sache hervorgehen.«
Wäre Raphael nicht anwesend gewesen, hätte sie bei der älteren Dame sogleich nachgehakt, was sie damit meinte. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie herausfinden würde, was hier vor sich ging. Bei der erstbesten Gelegenheit würde sie sich Lord Lockes Tante, die offensichtlich im Bilde war, schnappen und sie aushorchen. Wenn sie es klug anstellte, konnte sie seine Tante für sich gewinnen. Bis dahin saß sie hier auf diesem Sofa fest und malte sich aus, wie sie es diesem widerlichen Raphael heimzahlen würde.
Als Sadie schließlich den Salon betrat, um ihr mitzuteilen, ihr Zimmer wäre fertig, wies sie sie mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Sie war nämlich zu dem Entschluss gekommen, so lange sitzen zu bleiben, bis Raphael ihr reinen Wein eingeschenkt hatte. Doch dieser teuflische Mensch schien eine perverse Freude daran zu haben, sie auf die Folter zu spannen.
Ophelia brodelte. Sie kochte! Noch nie in ihrem Leben war sie so wütend gewesen. Besonders machte ihr zu schaffen, dass sie nicht einmal wusste, wo genau sie sich befand!
Bereits in der Kutsche hatte sie sich zwischen zwei Nickerchen gewundert, warum die Landschaft so dünn besiedelt schien. Nur hier und da hatte sie einen Bauernhof oder ein Cottage erblickt, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass Raphael vermutlich einen Umweg nahm, um den stark befahrenen Straßen von und nach London zu entgehen. Als sie den menschenleeren Horizont rund um das Haus erblickt hatte, in dem sie sich nun befand, war ihr angst und bange geworden.
Wie konnte dieser Grobian es wagen, sie einfach zu verschleppen? Hielt er sich für so bedeutend, dass er dachte, er könnte... tja, was denn eigentlich?
Es gab eigentlich nur ein Motiv, das Ophelia in den Sinn kam. Es musste mit ihrer Schönheit zu tun haben. Er wollte sie deshalb für sich... Ja, so musste es sein. Vermutlich war er dabei dem Irrglauben aufgesessen, er dürfe sich das Recht herausnehmen, sie an einen fremden Ort zu bringen, nur weil er der Erbe eines Herzogtitels war. Wollte er sie womöglich davon überzeugen, dass er sein Herz an sie verloren hatte?
»Und, haben wir heute etwas über Geduld gelernt?«, riss Raphael sie aus den Gedanken.
Sofort legte sich Ophelias eisiger blauer Blick wieder auf seinen Rücken. Wie herablassend er mit ihr sprach! Was für eine Frechheit, sie noch nicht einmal anzusehen, wenn er mit ihr sprach.
Steif und ohne ihre Wut zu zügeln, fauchte sie: »Nein... haben... wir... nicht!«
»Schade eigentlich.« Kaum hatte er zu Ende gesprochen, begab er sich in Richtung Tür.
Ophelia starrte ihn fassungslos an. Er trug sich doch tatsächlich mit dem Gedanken, den Salon zu verlassen! Im nächsten Moment kam sie auf die Füße, mit dem Vorsatz, sich zwischen ihn und die Tür zu werfen. Bedauerlicherweise hatte sie den niedrigen Sofatisch vergessen, auf dem noch immer der Tee stand, den sie nicht einmal angerührt hatte. Sie stieß sich schmerzhaft das Knie. Die Teetasse samt Untersetzer segelte zu Boden, Ophelia schnappte nach Luft.
Sofort blieb Raphael stehen. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte er sich mit besorgtem Gesichtsausdruck.
»Ja, nein, nicht wirklich.« Ophelia meinte damit ihre Wut, nicht die Beule an ihrem Knie.
»Am besten, Sie setzen sich wieder«, sagte er mit einem Seufzer. »Von mir aus können wir auch an einem anderen Tag das Thema Geduld bearbeiten.«
Ophelia ließ ihn absichtlich im Dunkeln darüber, dass er ihre Reaktion falsch gedeutet hatte. Geschah ihm recht, diesem Widerling. Vor allem, weil es sich anfühlte, als wolle er nun endlich damit herausrücken, warum er sie bis ans Ende der Welt geschleppt hatte.
Nachdem Ophelia sich wieder gesetzt hatte, nahm Raphael am anderen Ende des Sofas Platz und sah sie an.
»Werden Sie mir nun endlich verraten, warum ich hier und nicht in London bin, wo ich hingehöre?«, platzte es aus ihr heraus, als er keine Anstalten machte, sie anzusprechen.
»Ja, wir beide werden...«
»Ich wusste es!«, riss sie das Wort an sich. »Sie halten mich gefangen, um die Heirat mit mir zu erzwingen. Sie wollen mich kompromittieren, aber eins sage ich Ihnen, ich...«
Als Raphael lauthals loslachte, verfiel Ophelia in jähes Schweigen. Dieser Fiesling klang wahrhaftig amüsiert. Wäre sie nicht so wütend gewesen, hätte sie sich dafür in Grund und Boden geschämt, dass sie die
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