Reid 2 Die ungehorsame Braut
Gefährt, habe auch nie eines gebraucht. Schließlich hat Vater ja ein halbes Dutzend Kutschen im Schuppen von Norford Hall. Da ich aber nicht von dort aus losgefahren bin, konnte ich nicht auf seine Kutschen zurückgreifen. Ich bin auf direktem Weg von deinem Londoner Stadthaus hergekommen.«
Ehe Raphael Ophelia kennengelernt hatte, hätte er Stein und Bein geschworen, dass seine Schwester die hübscheste Frau weit und breit war. Seine Ansicht hatte nichts mit familiärer Loyalität zu tun, nein. Es war die Wahrheit. Mit ihrem blonden Schopf, der einige Nuancen dunkler war als seiner, ihren blauen Augen, die wiederum heller waren als die seinen, und ihren aristokratischen Gesichtszügen, die jeder in seiner Familie aufwies, hätte niemand daran gezweifelt, dass sie die anderen Debütantinnen der Saison in den Schatten stellen würde. Allerdings hatte keiner aus seiner Familie vor dem Fest auf Summers Glade von Ophelia gehört oder sie zu Gesicht bekommen. Und niemand, Amanda inbegriffen, konnte Ophelia in puncto Schönheit das Wasser reichen.
»Außerdem haben wir uns verfahren«, fügte sie murmelnd hinzu.
»Wirklich? Das war bestimmt furchtbar interessant.«
»Nicht im Geringsten.«
»Lag es am Schnee?«
»Nein, vielmehr daran, dass dein Fahrer sich nicht auskennt. Erst als wir uns verfahren haben, habe ich herausgefunden, dass er noch nicht sonderlich lange in deinem Dienst steht und es ihn bisher nie so weit in den Norden verschlagen hat. Dieser widerliche Kerl hätte ja auch früher den Mund aufmachen können.«
»Die meisten meiner Bediensteten sind noch nicht sonderlich lange bei mir beschäftigt, Mandy. Vor meiner Reise nach Europa habe ich fast alle entlassen. Aber jetzt erzähl mir lieber, wie du herausgefunden hast, wo ich bin.«
»Ich nahm an, du wärst von Summers Glade nach Norford Hall gefahren. Also habe ich einen der Diener entsandt, um herauszufinden, was dich dort so lange hält. Er kam zurück und berichtete mir, du wärst gar nicht da gewesen, sondern hättest eine Nachricht geschickt, aus der hervorging, du wärst stattdessen hier. Die Frage ist nur, was dich dazu veranlasst hat.«
Er zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
»Du verpasst doch die Saison!«
Raphael musste lachen. »Was kümmert mich die Saison? Du bist diejenige, die auf der Suche nach einer guten Partie ist, nicht ich. Und, bist du schon fündig geworden?«
Amanda blickte empört drein. »Nein. Die meisten Männer, die ich attraktiv finde, würdigen mich kaum eines Blickes.«
Er lachte. »Das kann unmöglich wahr sein.«
»Vielen Dank für deine Unterstützung, aber es stimmt leider. Die Einzige, für die sie sich interessieren, ist diese eingebildete Schnepfe Ophelia Reid. Alle wundern sich, warum sie noch nicht nach London zurückgekehrt ist. Die Kunde, dass sie Duncan MacTavish nun doch nicht heiraten wird, hat sich in Windeseile herumgesprochen. Weißt du etwas darüber?«
»Die beiden sind übereingekommen, dass sie nicht zueinander passen.« Mehr wollte er zu diesem Thema nicht sagen.
»Wie enttäuschend.«
»Warum?«
»Sei nicht so begriffsstutzig, Rafe. Weil sie nun wieder auf dem Heiratsmarkt zurück ist und es nur eine Handvoll wirklich guter Partien gibt.«
Amandas Begründung trieb Raphael ein Lächeln auf die Lippen. »Muss dein Zukünftiger denn perfekt sein?«
»Nein, natürlich nicht. Ein bisschen vielleicht. Aber jetzt, wo sie wieder im Rennen ist, sehe ich blass aus.«
»Eitelkeit und Eifersucht in einem Atemzug. Schande über dein Haupt, Mandy.«
Amanda errötete. »Ärgere mich nicht. Schließlich reden wir hier über den Rest meines Lebens.«
»Das sehe ich anders. Wir reden über deine Ungeduld. Entspann dich und genieß deine erste Saison in London. Und ehe du dich versiehst, triffst du den Richtigen.«
»Und der verliebt sich dann bei der erstbesten Gelegenheit in diese Ophelia«, murmelte Amanda gereizt.
»Du bist ja tatsächlich eifersüchtig, kann das sein?«
Sie stieß einen langen Seufzer aus. »Es überkommt mich einfach. Gütiger Gott, diese Frau ist so wunderwunderhübsch, dass einem die Augen aus dem Kopf fallen.«
Raphael schluckte das Lachen herunter, das sich in ihm zusammenbraute, und antwortete nur: »Da gebe ich dir recht.«
Amanda blinzelte und kniff die Augen zusammen. »Jetzt sag bloß nicht, du gehörst auch zu denen, die ihr erlegen sind.«
»Wo denkst du hin?«
»Da bin ich aber erleichtert. Sie mag umwerfend hübsch sein, aber ansonsten ist sie
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