Reid 2 Die ungehorsame Braut
nicht sehr leutselig. Vor allem nicht leutselig genug für dich. Sie ist eitel, schnippisch und hochmütig.«
»Sind das die Gerüchte, die momentan über sie im Umlauf sind?«, erkundigte er sich neugierig.
»Nein, im Augenblick spricht jeder nur davon, dass sie wieder zu haben ist, was viele Männerherzen höher schlagen lässt. Weißt du eigentlich, dass sie den Nerv besessen hat, mir auf Summers Glade ins Gesicht zu sagen, ich würde nur meine Zeit dort verschwenden? Und das, obwohl ihre zweite Verlobung mit MacTavish noch gar nicht spruchreif war. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass er sie zurücknehmen würde.«
»Wenn man es genau nimmt, war es tatsächlich verschwendete Zeit. Duncan war längst in Sabrina verliebt. Er hat nur eine Weile gebraucht, um es sich einzugestehen.«
»Freut mich für ihn. Ist das der Grund, warum er und Ophelia die Verlobung dann doch gelöst haben?«
»Ja und nein. Vergiss nicht, es waren die Familien, die die Verbindung vorangetrieben haben. Deswegen waren beide froh, einen Ausweg gefunden zu haben. Los jetzt, leg den Mantel ab und trink eine Tasse Tee mit mir, ehe du dich auf den Heimweg machst.«
»Sei kein Langweiler, Rafe. Oder hast du etwa schon vergessen, dass du mich eingeladen hast, die Saison bei dir zu verbringen?«
»Nicht hier.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Und nicht mit mir«, berichtigte er sie. »Ich habe dich in mein Stadthaus eingeladen, weil Vater keines besitzt, das stimmt. Aber es war nie die Rede davon, dass ich die ganze Saison über nicht von deiner Seite weiche.«
»Aber ich wünsche es mir doch so sehr!«, flehte sie ihn an. »Ich dachte, du würdest in London bleiben. In den zwei Jahren, die du auf dem Kontinent warst, habe ich dich entsetzlich vermisst. Jetzt, wo du wieder da bist, dachte ich, es wäre auch dir ein Herzenswunsch, mehr Zeit mit mir zu verbringen.«
»Das werde ich auch. Sobald ich nach London zurückkehre.«
»Aber wann ? Außerdem weiß ich noch immer nicht, was dich veranlasst hat, dich hier zu verkriechen.«
»Ist es dir denn gar nicht in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht Besuch mitgebracht haben könnte?«
Amanda wurde mit einem Schlag blass. »Beim Allmächtigen, daran habe ich keine Sekunde gedacht. Das ist mir jetzt aber peinlich. Ich mache mich sofort wieder auf den Weg -sobald mir einigermaßen warm ist.«
»Prima.«
»Prima? Du hast also nicht vor, mich zu fragen, ob ich bleiben möchte - wenigstens heute Nacht?«
»Nein, habe ich nicht. Außerdem ist es noch früh genug, um das nächste Gasthaus zu erreichen, ehe es dunkel wird.«
Mit einem Seufzen entledigte sich Amanda des Mantels und gesellte sich zu ihm auf das Sofa. Sie nahm einen dünnen Stapel Briefe aus der Tasche und reichte ihn Raphael.
»Ich habe dir deine Post mitgebracht, für den Fall, dass etwas Wichtiges dabei ist.«
»Du meinst, du hoffst auf eine Einladung zu einem Ball, der mir gefiele, stimmt’s?« Er warf einen flüchtigen Blick auf die Briefe. Bis auf das Schreiben von Ophelias Vater war nichts Interessantes dabei. Er öffnete es und überflog den Inhalt. Es war, wie er es erwartet hatte.
»Das auch«, räumte Amanda ein, ehe sie wieder auf das ursprüngliche Thema zu sprechen kam. »So früh ist es auch nicht mehr. Der Gasthof, in dem ich die letzte Nacht verbracht habe, liegt sechs Stunden von hier entfernt.«
Raphael sah seine Schwester an und sagte: »Ihr habt euch verfahren, schon vergessen?«
Amanda seufzte abermals. »Na gut, vielleicht waren es auch nur vier Stunden. Aber es wird schon bald wieder dunkel. Ich verspreche auch, dass ich ganz früh abreise. Wer ist sie eigentlich? Jemand, den ich kenne?« Insgeheim hoffte Amanda, ihren Bruder mit der spontanen Frage aus der Reserve zu locken. Doch es funktionierte nicht.
»Ja, du kennst sie, und nein, ich werde dir nicht sagen, um wen es sich handelt. Das, meine Teure, geht dich nichts an. Aber es ist nicht so, wie du denkst, ich habe Alder’s Nest nicht zu einem Liebesnest umfunktioniert.«
»Natürlich nicht«, kam die zweifelhafte Antwort. »Du und deine weibliche Begleitung treffen sich an einem Ort, der einsamer kaum liegen könnte, aber es ist alles ganz harmlos?«
»Richtig. Außerdem wäre da noch Tante Esme, die auf uns aufpasst.«
»Sie ist hier?«, rief Amanda erfreut. »Das ist ja wunderbar. Ich habe sie schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen! Du kannst mich jetzt unmöglich fortschicken oder mir verbieten, ein paar Tage hier zu
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