Reid 2 Die ungehorsame Braut
Bürschchen, dachte Ophelia und seufzte laut. Im Nachhinein war es dumm gewesen, ihn bei dieser Witterung zur Eile anzutreiben. Aber das half ihr jetzt auch nicht weiter.
»Was würden Sie normalerweise in einer solchen Situation tun?«, wollte sie wissen.
»Ein neues Rad besorgen.«
»Dann tun Sie das.«
»Aber bis in die nächste Stadt ist es noch eine Stunde. Und es könnte längst dunkel sein, ehe ich wieder zurück bin.«
Der Gedanke, allein im Dunkeln in einer Kutsche im Straßengraben zu sitzen und zu frieren, erfüllte Ophelia mit Grausen. Alternativ konnte sie sich eines der Pferde nehmen und ohne Sattel losreiten, was vermutlich dazu führen würde, dass sie ein ums andere Mal herunterfallen und sich verletzen würde. Dann befände sie sich erst recht in einer Notlage. Was sollte sie tun? Darauf hoffen, dass das Wetter besser wurde, und in der Zwischenzeit erfrieren? Oder auf Raphael warten, der sich ins Fäustchen lachen würde, weil er sie gefunden hatte -vorausgesetzt, er tauchte überhaupt auf? Vielleicht kümmerte es ihn ja gar nicht, dass sie fort war. Womöglich war er zu der Überzeugung gekommen, dass er sein Bestes gegeben hatte, und würde sich nun anderen Dingen zuwenden, da er auf Menschen pfiff, die seine Hilfe nicht annehmen wollten.
So kam es, dass sie sagte: »Was stehen Sie hier noch herum! Los, machen Sie sich auf den Weg.« Insgeheim hoffte sie, damit nicht schon wieder einen Fehler zu begehen.
Kapitel achtzehn
Raphael konnte kaum zwanzig Fuß weit sehen, so heftig schneite es. Dazu kam der orkanartige Wind, der ihm um die Ohren pfiff und ihn zu überreden versuchte, er solle umkehren.
Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bis Bartholomew ein Pferd von zu Hause geholt und es gesattelt hatte. In der Zwischenzeit hatte Raphael - in dem Wissen, dass die Kohlenpfanne in der Kutsche leer war - Briketts geholt und war schnellstmöglich losgeritten. Er wusste, dass es nicht besonders realistisch war, Ophelia vor der nächsten Stadt abzufangen.
Raphael war so tief in Gedanken versunken, dass er die im Graben liegende Kutsche fast nicht bemerkt hätte, was vor allem daran lag, dass sie bereits unter einer weißen Decke zu verschwinden drohte. Wären die Pferde nicht gewesen, wäre er vermutlich weitergeritten. Beim Anblick des verunglückten Gefährts befiel ihn tiefe Furcht - ein Gefühl von solcher Intensität hatte er sein Lebtag noch nicht gehabt. Als ihm einen Atemzug später aufging, dass eines der Pferde fehlte und die Kutsche sich nur leicht zur Seite geneigt hatte, flaute das Gefühl ab. Er war sich sicher, dass niemand verletzt war. Ophelia und der Kutscher hatten offensichtlich entschieden, sich ein Pferd zu teilen, um ihren Weg fortzusetzen.
Einzig das Wissen darum, dass er es sich nie würde verzeihen können, wenn er vorsichtshalber nicht doch im Innern nachsah, saß Raphael ab, öffnete die Tür der Kutsche und warf einen hastigen Blick ins Innere. Nichts außer einem Bündel...
Weshalb, zum Teufel, hast du eigentlich nur eine Schoßdecke in deiner Kutsche ?, schossen ihm die Worte seiner Schwester durch den Kopf.
»Gütiger Gott«, platzte es aus ihm heraus. »Hat er Sie allein zurückgelassen? Wo ist der Kerl hin?«
Ophelia schob den Kopf ein Stück in die Höhe, nur weit genug, dass er ihre Augen sehen und feststellen konnte, dass sie keine Mütze trug. Hatte sie etwa die Haare gelöst? Es sah aus, als hätte sie sich so klein wie nur möglich gemacht, um unter die Schoßdecke zu passen.
»Er ist fort, um ein neues Wagenrad zu holen.«
Raphael setzte sich neben sie und deutete auf die kalte Kohlenpfanne. »Wusste er, dass er Sie in der Kälte zurücklässt?«
»Vermutlich nicht«, sagte sie, ehe sie mit schneidendem Ton hinzufügte: »Schließen Sie verflixt noch mal die Tür.«
Raphael tat, wie ihm geheißen, um nicht noch mehr Kälte hereinzulassen.
Ophelia stellte die Füße auf den Boden, setzte sich aufrecht hin und legte sich die kleine Decke über den Schoß. Es war, wie Raphael vermutet hatte - ihr Haar war offen. Es war viel länger, als er vermutet hätte. Eine Strähne fiel ihr in den Schoß, und erst jetzt bemerkte er, dass ihre Hände zitterten. Eine Woge der Empörung, weil sie sich so leichtfertig in Gefahr gebracht hatte, riss ihn mit sich.
»Wo sind denn Ihr Muff und Ihre Mütze?«, wollte er wissen.
»Sie waren nicht in meinem Mantel, und mir blieb keine Zeit, danach zu suchen.«
Ophelia sprach derart affektiert, dass Raphael vor Wut
Weitere Kostenlose Bücher