Reid 2 Die ungehorsame Braut
unglaublich, dass er nach all der Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, die Traute besaß, sie mit seinem unwiderstehlichen Charme zu bezirzen - und das ausgerechnet in aller Öffentlichkeit. Nur zu gern würde sie ihm zugute halten, dass er nicht anders konnte, aber es fühlte sich vielmehr so an, als wähne er sich genau deshalb in Sicherheit: Weil er wusste, dass sie nicht reagieren konnte, wie sie wollte.
Der Tanz endete schneller, als Ophelia lieb war. Aber vielleicht war es das Beste. Auch sie litt darunter, Rafe so nahe zu sein, ohne ihrem Verlangen nachgeben und ihn küssen zu können.
»Ich wusste, dass du kommen würdest«, sagte sie mit rauer Stimme, als er sie von der Tanzfläche geleitete. »Hast wohl meinen Spion enttarnt.«
»Deinen Spion?«
Raphael verdrehte die Augen. »Vergiss es. Woher hast du gewusst, dass ich hier sein würde?«
»Das war nur ein Gefühl, ein ziemlich starkes sogar. Vielleicht, weil du mir zu verstehen gegeben hast, dass du mir dabei behilflich sein würdest, einen Gemahl zu finden.«
Insgeheim hoffte sie, er würde diese Annahme korrigieren, doch stattdessen sagte er: »Und, wie gedenkst du vorzugehen? Tu mir einen Gefallen und brich nichts übers Knie, nur um der eisernen Hand deines Vaters zu entkommen. Da wir gerade beim Thema sind: Wie ist eigentlich euer erstes Aufeinandertreffen verlaufen?«
»Genau so, wie ich es mir gedacht habe. Wenn man in Betracht zieht, dass die meisten unserer Gespräche geradezu eskaliert sind, haben wir uns fast vertragen, und ich war für meine Verhältnisse die Ruhe in Person. So gesehen lief es recht gut.«
Die Tatsache, dass Rafe ihr im Esszimmer tatkräftig dabei geholfen hatte, diese schwierige Situation zu meistern, verschwieg sie geflissentlich. Dann nahm ihr Gesicht ernste Züge an. »Ich fürchte jedoch, dass ich mir nicht allzu viel Zeit bei der Suche nach einem geeigneten Gemahl lassen darf. Vater ist fest entschlossen, mich unter die Haube zu bringen und wird nicht eher Ruhe geben, bis es so weit ist.«
»Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn ich das Gespräch mit deinem Vater suche.«
»Nein, tu das bitte nicht. Das wird ihn nur noch mehr zur Eile antreiben.«
»Verflixt, warum hat er es denn so eilig?«
»Kannst du dir das denn nicht denken? Mein ganzes Leben lang hat er schon darauf gewartet, mich gewinnbringend zu verheiraten. Bei Duncan wähnte er sich am Ziel angekommen und war außer sich vor Freude. Nachdem ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht habe, ist er naturgemäß enttäuscht. Genauer gesagt ist er außer sich vor Zorn, weil das Ganze jetzt wieder von vorne losgeht. Sei also bitte nicht überrascht wenn er es jetzt auf dich abgesehen hat.«
»Tut mir leid, aber dein Vater ist nicht ganz meine Kragenweite.«
Raphael hatte mit so ernster Miene gesprochen, dass Ophelia nicht anders konnte, als lauthals loszulachen. Nichtsdestotrotz fühlte sie sich verpflichtet, ihm eine Warnung mit auf den Weg zu geben. »Du verleihst dem Ganzen einen lockeren Unterton, doch meinem Vater ist diese Sache sehr ernst. Er hat sich in den Kopf gesetzt, dass du sein Schwiegersohn wirst.«
Rafe zuckte zusammen. »Ich fürchte, ich bin durch meinen Brief und meine Entscheidung, etwas Zeit mit dir zu verbringen, nicht ganz unschuldig an dieser fixen Idee. Versteckte Andeutungen bieten stets Raum für kreative Interpretationen.«
In der Zwischenzeit hatte Raphael sie durch die Menge am Rande der Tanzfläche geführt, um sie bei Ophelias Mutter abzuliefern. Unglücklicherweise unterhielt Mary sich noch immer angeregt mit Sabrina und ihrer Tante Hilary. Duncan stand hinter seiner Verlobten und hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt.
Wer hätte je gedacht, dass aus diesen beiden ein Paar werden würde? Sie passten so gar nicht zueinander. Der attraktive, kräftig gebaute Schotte und die kleine zierliche und schlichte Frau vom Lande. Vermutlich hatte Sabrina Duncans Herz damit erobert, dass sie jeder Situation mit Humor begegnete und anderen stets ein Lächeln entlockte. Anfangs hatte sie eine Freundschaft verbunden, aus der tiefe Liebe entstanden war. Ophelia wünschte sich, sie hätte das eher erkannt, statt sich einzureden, Duncan versuche lediglich, sie eifersüchtig zu machen.
Ophelia dachte daran, sich auch bei Duncan zu entschuldigen. Er hatte so lange gedacht, er müsse den Rest seines Lebens an ihrer Seite verbringen. Es war gewiss die reinste Hölle für ihn gewesen. Vielleicht wäre zwischen ihnen alles
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