Reid 2 Die ungehorsame Braut
wäre es, wenn er seinem Vater eine Nachricht zukommen ließe, doch er hatte Angst, dass er nicht imstande wäre, ordentlich zu schreiben. Morgen war schließlich auch noch ein Tag.
Allmählich stellten sich die Schuldgefühle ein, weil er Ophelia in der Obhut ihrer Eltern gelassen hatte. Diese Art von Gehässigkeit war ihm eigentlich fremd. Aber es war die perfekte Rache gewesen. So konnte er ihr das Eine, das sie wirklich wollte, versagen, nämlich dass sie der Fuchtel ihres Vaters entkam. Unbezahlbar - wenn auch eine Spur zu gehässig für seine Verhältnisse.
Er würde sie nicht zwingen, allzu lange dort zu bleiben. Aber würde sie sie auch nicht bei sich einziehen lassen. Nie und nimmer! Er würde einen Ort für sie suchen, wo sie ihren Hang zur Gehässigkeit ausleben konnte und er nichts davon mitbekam. Sie würden auf keinen Fall unter demselben Dach leben, solange er nicht ein Wort von dem glauben konnte, was sie sagte.
Bei Gott, er mochte noch immer nicht glauben, wie gerissen dieses Frauenzimmer war. Da hatte er ihr tatsächlich abgekauft, ein neuer Mensch geworden zu sein, hätte Stein und Bein geschworen, dass ihr Bedauern von Herzen kam und sie ihm die Wahrheit erzählt hatte. Dabei hatte sie ihn nach Strich und Faden belogen.
»Als ich davon erfahren habe, bin ich sofort losgestürmt. Herzlichen Glückwunsch!«
Raphael hob den Blick und sah, dass seine Schwester den Kopf in den Raum steckte und ihn bis über beide Ohren angrinste. »Du kannst dir deinen Atem sparen.«
»Was?«
»Ich kann auf die Glückwünsche gut und gern verzichten. Wenn du möchtest, kannst du mir dein Mitleid ausdrücken. Aber tu mir einen Gefallen und spar dir deinen Frohmut.«
»Du bist betrunken.« Amanda betrat den Raum. »Gut geraten! Zwei Punkte für dich.«
»Sternhagelvoll, wie mir schwant. Warum? Wo ist sie?« Amanda sah dabei auffällig in Richtung Bett.
Hier wirst du sie vergebens suchen«, murmelte er. »Weshalb hast du es eigentlich nicht mal für angebracht gehalten anzuklopfen, statt einfach so hereinzuplatzen, wenn du sie hier vermutet hast?«
»Ich platze nirgends herein«, verteidigte sie sich mit einem Schnauben.
»Aber genau das hast du getan.«
»Nein, habe ich nicht. Ich habe mehrfach geklopft, und als du nicht geantwortet hast, habe ich angenommen, dass du schläfst. Auch auf die Gefahr hin, dass du nicht schläfst, musste ich hereinkommen, so entzückt war ich, weil du...« Als sie merkte, dass sich das Gesicht ihres Bruders zunehmend verfinsterte, bremste sie sich. »Sollte ich mich denn nicht freuen?«
»Nein, solltest du nicht.«
»Aber ich mag sie.«
»Das war früher aber ganz anders.«
»Das war, bevor ich mich so nett mit ihr unterhalten habe.«
Jetzt schnaubte er. »Glaub ihr kein Wort, Mandy. Sie ist eine notorische Lügnerin und eine erstklassige Schauspielerin. Sie kann dich glauben machen, dass die Sonne scheint, wenn es offensichtlich nicht der Fall ist. Wie, zum Teufel, hast du eigentlich so schnell davon erfahren?«
»Ich war auf einem Fest, und plötzlich stürmte ein Jüngling herein und verkündete die Neuigkeit. Sofort wurde er mit Fragen behelligt und ließ verlauten, er wäre bei den Cades eingeladen gewesen, als du verkündet hättest, dass du dir Ophelia ans Bein binden würdest. Lady Cade soll euch wohl begleitet haben. Natürlich ruhten plötzlich sämtliche Augen auf mir und sahen mich vorwurfsvoll an, weil ich keinen Mucks von mir gegeben hatte, dass es so schnell schon geschehen würde. Das war ziemlich peinlich, wie du dir vorstellen kannst, aber ich verzeihe dir, weil ich so entzückt war, dass... nein, nein, nicht entzückt, ich vergaß. So... glücklich?«
»Mache ich einen glücklichen Eindruck?«
Nachdenklich ließ Amanda sich auf der Sessellehne nieder. »Was ist passiert? Ist etwas vorgefallen, das eure Hochzeit vereiteln könnte?«
»Nein«, antwortete Raphael angewidert. »Ich hätte es erst gar nicht so weit kommen lassen, aber ich war außer mir vor Wut. »Ihm leuchtete ein, wie eigenartig er klingen musste, und so wollte er gerade ein wenig ausholen, als er den roten Faden verlor und aufgab. Stattdessen sagte er: »Ein Wort der Warnung, meine Liebe: Triff nie eine wichtige Entscheidung, wenn du voller Wut bist.«
»Ich dachte, du magst sie, hast in den höchsten Tönen von ihrem neuen Selbst geschwärmt. Und selbst ich bin der Meinung, dass sie ein sehr netter Mensch ist. Sie hat sich nicht nur verändert, nein, ich finde, sie ist ein
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