Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
Opfer fielen.
Zufrieden, endlich einen Plan in der Tasche zu haben, lehnte Rebecca sich zurück und betrachtete durch das Fenster die vorbeiziehende Landschaft. Außer brachliegenden Feldern gab es nicht viel zu sehen. Es dauerte also nicht lange, bis sie von Langeweile eingeholt wurde. Wie von selbst glitt ihr Blick zu dem schlafenden Rupert. Konnte es sein, dass er im Sessel an Bord kein Auge zubekommen hatte? Selbst wenn dem so war, brauchte sie kein schlechtes Gewissen zu haben. Schließlich ging es auf sein Konto, dass sie jetzt in Frankreich war -genau wie die Tatsache, dass sie ein uneheliches Kind erwartete und dass sie die Augen nicht von ihm lassen konnte. Jetzt, wo er schlief, machte sie sich nicht einmal die Mühe, dezent den Blick abzuwenden.
An Bord hatte Rupert sich umgezogen, während Rebecca noch geschlafen hatte. Sie besaß zwar keine Kleider zum Wechseln, hatte sich aber glücklicherweise gestern für ein war mes fliederfarbenes Kleid entschieden, das nicht so schnell knitterte. Es war ihr also nicht anzusehen, dass sie bereits zwei Nächte in ihrem Gewand verbracht hatte. Rupert sah aus, wie ein Repräsentant des Hochadels auszusehen hatte: BrokatGehrock mit juwelenbesetzten Knöpfen, funkelnde Ringe an den schlanken Fingern. Jedes noch so kleine Detail zeugte davon, dass er weder Mühen noch Kosten für seinen Auftritt in Le Mans gescheut hatte.
Rebecca seufzte innerlich. Wie konnte es sein, dass ein Mann von engelsgleichem Äußeren im Inneren so verrucht war? Und wieso fühlte sie sich noch immer zu ihm hingezogen, wo sie doch wusste, was für ein Scheusal er war? Nach allem, was er ihr angetan hatte, müsste sie ihn abgrundtief hassen, statt beim Anblick seiner Lippen in Erinnerungen daran zu schwelgen, wie wunderbar es sich angefühlt hatte, von ihm geküsst zu werden. Ein Blick auf seine Finger genügte, und Rebecca träumte von seinen zärtlichen und erregenden Berührungen. Als sie weiter nach unten schaute, schnellte ihr Puls in die Höhe, woraufhin sie sich eine Närrin schalt und zwang, die Augen zu schließen und an etwas anderes zu denken.
Obzwar die kleine Reisegruppe nur eine kurze Rast einlegte, um zu Mittag zu essen, war es ihnen nicht vergönnt, Le Mans vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Rupert, der noch nie in Le Mans gewesen war, hatte die Fahrt dorthin schlicht und ergreifend unterschätzt.
Nachdem der Kutscher Matthew letzte Erkundigungen eingezogen hatte, wie sie am besten fuhren, öffnete er die Tür der Kutsche und berichtete an Rupert gewandt: »Vor uns liegen noch mindestens acht Stunden, Mylord. Bei dem Tempo, das wir derzeit vorlegen, werden die Pferde jedoch schon bald schlappmachen. «
Bedeutete das etwa, dass Rebecca nicht wie versprochen in vier Tagen zurück wäre? Wie es schien, hatte sie sich durch ihre Mimik verraten, denn Rupert erklärte: »So viel Zeit haben wir nicht. Ich lege mich ein wenig aufs Ohr und löse dich dann ab. «
»Sehr wohl, Mylord. «
Für Matthew mochte diese Abmachung akzeptabel sein, nicht aber für Rebecca. Die Vorstellung, noch einen Tag länger aus London fort zu sein, behagte ihr ganz und gar nicht. »Ihr habt doch die ganze Zeit geschlafen. Wieso löst Ihr Matthew nicht sofort ab? «, hob sie an.
»Glaubt Ihr tatsächlich, ich könnte schlafen, während Ihr mich mit Euren Blicken fast auszieht? «
Vor lauter Wut und Schmach lief Rebecca puterrot an. Er hatte sich nur schlafend gestellt, dieser Schuft! Ja, sie hatte ihn immer wieder angestarrt, hatte sein Gesicht so lange studiert, dass sie es vermutlich aus dem Gedächtnis zeichnen konnte. Warum musste er ihr auf die Nase binden, dass er sie ebenfalls beobachtet hatte?
Rebecca konnte von Glück sagen, dass Rupert das Thema sogleich wieder fallen ließ und sich stattdessen so auf die Sitzbank legte, dass er ihr den Rücken zuwandte. »Am besten, Ihr versuchtet ebenfalls, eine Mütze voll Schlaf zu bekommen«, riet er. »Ihr müsst morgen in Bestform sein. «
Just als sie sich ebenfalls der Länge nach ausstrecken wollte, schob er nach: »Und wehe, Ihr starrt die ganze Zeit auf meinen Allerwertesten! «
Jetzt brannten Rebeccas Wangen lichterloh. Damit war klar, dass sie kein Auge zutun würde, ehe Rupert nicht auf dem Kutschbock saß.
Kapitel 30
Samuel Pearson war vollkommen anders, als Rebecca ihn sich vorgestellt hatte. Der ehemalige Offizier war Ende dreißig, von großer Statur und legte ein militärisches Gebaren an den Tag. Als er sich jedoch als höchst
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