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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Bestseller-Märkte genauso wenig leiden wie die gewaltigen Gotteshäuser. Hier wie dort wird den Gedanken ein Raum gegeben, in dem sie verloren gehen müssen. Wenn Paul die Nähe zum Glauben sucht, geht er in eine Kapelle, die höchstens drei Bankreihen besitzt, und wenn er in Bücherregalen stöbern will, sucht er sich kleine Buchläden aus wie die Badebuchhandlung von Westerland.
    Die Frau geht schnurstracks auf den großen Büchertisch zu, der eine Wiederholung des Schaufensters ist. Sämtliche Bücher David Davidsons sind dort ausgestellt. Und überall liegen Handzettel herum, die den Umriss eines Kopfes zeigen, der kein Gesicht hat.
    Die Frau kichert ein weiteres Mal, als sie nach einem Handzettel greift, und Paul dreht sich um und verlässt die Badebuchhandlung wieder. Mehr muss er von David Davidson nicht wissen. Schon die Zeitungen waren voll davon, dass der bekannte Autor nun endlich sein Inkognito lüften will. Ein Spektakel, das Paul nicht behagt.
    |46| Eigentlich wollte er fragen: »Haben Sie was von Wolf Biermann?« Aber er dreht sich um und verlässt die Badebuchhandlung wieder. In seinem Bücherschrank steht ja alles, was es über Wolf Biermann zu wissen gibt.
     
    Puh, ist das langweilig! Ich hätte mich an die Wasserkante legen sollen, wo es etwas zu sehen gibt. Was hat mich eigentlich gehindert? Wenn Elena mich das fragte, wüsste ich keine Antwort. Sie darf niemals erfahren, dass ich mich wie ein schlechter Schüler in die letzte Reihe verdrückt habe. Für verrückt wird sie mich halten.
    »Hemmungen am Nacktstrand, nur weil Georg nicht mehr bei dir ist? Es wird wirklich Zeit, Sophia, dass du dein Leben änderst.«
    Ich bin auf dem besten Wege, Elena! Mir gehört ein Haus auf Sylt und ein nagelneues Cabrio. Ist das vielleicht nichts? Demnächst werde ich meinem Nachbarn sagen, was ich von seiner Scheinheiligkeit halte und vielleicht sogar den Schriftsteller aus seiner Ruhe aufschrecken. Und ganz sicher werde ich meine Decke dort ausbreiten, wo Georg es tun würde. Vielleicht morgen schon! Es hat keinen Sinn, alle Schritte auf einmal zu tun, dann falle ich auf die Nase. Du bist anders, Elena, du warst damals schon ein gutes Stück weiter als ich. Und ich habe dich nie eingeholt. Bei keiner deiner drei Scheidungen hast du lange gefackelt, und bei deinen heimlichen Liebschaften warst du viel schlauer als ich. Schlauer als deine Ehemänner sowieso. Jedem von den dreien bist du schnell auf die Schliche gekommen und hast genauso schnell dafür gesorgt, dass die entsprechenden |47| Beweise erbracht wurden. Mein einziger kümmerlicher Versuch war derart ungeschickt, dass Georg sofort dahinterkam, und das, obwohl er es nicht mal wollte. Du hättest mir eben schon vorher einschärfen sollen, dass die Wahlwiederholungstaste des Telefons alles verraten kann.
    Mein Gott, war ich froh, dass Georg mir meinen Fehltritt verzieh! Auch da bist du anders, Elena! Du hast das Verzeihen deiner Ehemänner verlangt, ich habe es erbettelt. Und natürlich habe ich Georg danach seine sämtlichen Fehltritte nachgesehen. Einen nach dem anderen! Ich musste ja Verständnis für ihn haben. Schließlich hatte ich nun am eigenen Leib erfahren, wie süß die Versuchung ist und wie leicht man ihr erliegt. So lange habe ich Georg verziehen, bis er mein Verzeihen gar nicht mehr wollte. Ja, ja, Elena, auch das hast du mir prophezeit.
    Die Kurzgeschichten von David Davidson strengen mich plötzlich an. Seine Erzählungen sind so dicht, so intensiv, so hintergründig, dass ich mehr als zwei oder drei nicht verarbeiten kann. Nach jeder Geschichte sehne ich mich nach einem Schicksal, wie er es beschreibt. Ich möchte so sein wie Davidsons Helden, möchte so intensiv leben, lieben und leiden wie sie.
    Ich hätte einen Krimi mitnehmen sollen. Oder einen dicken historischen Roman so wie Georg. Vielleicht auch einen Fantasy- oder Zukunftsroman. Warum nicht mal was anderes lesen? Warum soll ich mich nicht einmal gruseln, statt mich literarisch zu erbauen?
    Ich glaube, Uschi war es, die gern Zukunftsromane las. Am Abend in der Jugendherberge hat sie aus einem Buch |48| vorgelesen, das derart gruselig war, dass Elena und ich in der Nacht das Licht nicht löschen mochten. Also schliefen wir nur wenig und versuchten das Grauen zu vergessen, indem wir uns die Gesichter der Jungs vorstellten, wenn sie uns in unseren Baby-Dolls sehen könnten. Die kurzen Pumphosen und die weiten Hängerchen, die darüber fielen, waren der letzte Schrei der

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