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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Nachtwäschemode. Wir dachten sogar darüber nach, unsere Angst vor dem, was Uschi uns vorgelesen hatte, ein wenig zu übertreiben und zu den Jungs zu laufen, um bei ihnen Schutz zu suchen. Aber ich hatte viel zu viel Angst vor den Konsequenzen, und selbst Elena traute sich nicht.
    Ich weiß nicht, ob Zukunftsromane immer gruselig sind, vermutlich nicht. Ich jedoch assoziiere sie immer mit einer Gänsehaut.
    Uschi! Ja, sie war es, die damals die Idee hatte, zum Nacktstrand zu gehen. Und Elena stand sofort an ihrer Seite. »Super Idee! Wir fahren mit den Rädern hin!«
    Bärbel und ich hofften insgeheim, dass die Jugendherberge nicht genug Fahrräder zur Verfügung hatte, und Paul hoffte es natürlich auch. Aber wir hatten Pech. Der Herbergsvater führte uns in einen Kellerraum, in dem dutzendfach herumstand, was einen Lenker, zwei Räder und zwei Pedalen hatte und sich damit vorwärtsbewegen ließ. Anscheinend gaben bei ihm die Leute der Umgebung ihre alten Fahrräder ab, wenn sie sich endlich ein neues leisten konnten.
    Werner und Rolf waren begeistert oder taten zumindest so, am Ende tat auch Paul so. Wahrscheinlich war ich die Einzige, die wusste, wie es in ihm aussah. Der vorherige Tag |49| hatte schrecklich geendet, schrecklich für Paul. Und ich hatte es nicht verhindern können. Warum war er nicht mit einem selbstgeknüpften Haarband gekommen, wie Elena es von dem Jungen aus der Parallelklasse geschenkt bekommen hatte? Oder mit einer Tüte Cremehütchen, die ich für mein Leben gern aß? Ausgerechnet ein Gedicht! Als ich begriff, dass Paul es selbst geschrieben und mir gewidmet hatte, kam ich mir vor, als sollte ich vom Pfarrer den Segen oder vom Schuldirektor einen Tadel erhalten. Von beidem etwas. Besonders feierliche oder besonders angstvolle Momente konnte ich damals nur schwer ertragen. Ich habe es versucht, wirklich. Es war ja zu spüren, wie wichtig dieser Augenblick für Paul war, und ich habe mich darauf konzentriert, wie ich mich auch bei meiner Konfirmation darauf konzentriert hatte, ernst zu bleiben und nicht zu kichern. Paul hätte mir das Gedicht geben und es mich selber lesen lassen sollen. Vielleicht wäre dann alles gut gegangen. Aber als er da vor mir im Gras saß …
    Es hält mich nicht im Sand. Plötzlich ist die Hitze unerträglich, hinter dem Dünengras erreicht mich nicht der kleinste Lufthauch. Ich muss aufstehen und dem sanften Wind, der übers Meer streicht, meine nackte Haut entgegenhalten. Ja, das tut gut.
    Ich weiß nicht mehr, wie das Gedicht hieß. Es hatte einen schönen Titel, daran erinnere ich mich noch, einen, der nicht isoliert stand, sondern eine Verbindung mit der ersten Zeile einging, auch das weiß ich noch. Es war ein Liebesgedicht, das merkte ich sofort, obwohl Paul mit seinem Vortrag nicht weit kam.
    |50| Besser, ich lege mich wieder in den Sand. Die Gedanken an sein Gesicht drücken mich nieder. Der arme Paul! Erst das Geschrei des Herbergsvaters, dann Uschi mit ihrer Flasche Regina! Gibt’s diese grelle Brause eigentlich heute noch?
    Die Haut auf Brust und Bauch beginnt zu brennen, ich habe vergessen, mich mit der Sonnenmilch einzureiben. Egal! Wenn ich mich auf den Bauch drehe und der Sonne meine andere Hälfte hinhalte, kann ich auch viel besser das Treiben am Strand beobachten. Das Dünengras ist so leicht und schwebend, es fängt den geringsten Hauch ein und bewegt sich sachte vor meinem Gesicht. Durch die zarten Halme kann ich immer etwas sehen und werde doch immer von ihnen verborgen.
    Niemals werde ich Pauls Enttäuschung vergessen. Wie sollte ich ihm erklären, dass ich nicht kicherte, weil ich mich über ihn lustig machte, sondern weil ich nicht wusste, wie ich sein Geschenk würdigen sollte? Noch lange, etwa bis Mitte zwanzig, habe ich gekichert, wenn ich emotional aufgewühlt war, glücklich oder unglücklich, ängstlich oder übermütig. Auch dann, wenn es keinen Grund zum Lachen gab, wenn sich etwas Tragisches, Peinliches oder Trauriges ereignete. Gerade dann! Es gab damals Menschen, vor allem Lehrer und Eltern, die hielten das Kichern junger Mädchen für ein überspanntes Lachen, für einen Ausdruck von Heiterkeit also. Aber mein Kichern hatte selten etwas mit Fröhlichkeit zu tun. Es war meist eine Reaktion auf etwas, was ich nicht anzunehmen vermochte. Ich war viel zu scheu, um angemessen zu reagieren, wenn mir etwas Expressives widerfuhr.
    |51| Elena hätte es vielleicht damals schon fertiggebracht, Uschi über den Mund zu fahren und sie mitsamt

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