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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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ließ, als das Vermögen der Familie Salt unbegrenzt und für immer sicher schien. Aber 1893 schon driftete die Textilbranche in eine unerwartete Flaute, und die Salts waren plötzlich nicht mehr liquide. Die Familie verlor die Firma und mußte fassungslos und beschämt das Haus, die Fabrik und alle Aktien verkaufen. Und dann begann eine seltsame, unheimliche Kette von Ereignissen. Offenbar ohne Ausnahme mußten alle nachfolgenden Eigentümer von Milner Field merkwürdige, verheerende Nackenschläge einstecken. Einer hieb sich einen Golfschläger in den Fuß und starb an Wundbrand. Ein anderer kam nach Hause und fand seine junge Braut im Bett mit einem Geschäftspartner, mitten in der ersten Runde eines Nacktringkampfs. Was sich ja wohl nicht gehörte. Er erschoß den Mann oder vielleicht sogar beide. Die Chronisten sind sich da nicht einig. Auf jeden Fall richtete er im Schlafzimmer eine gräßliche Schweinerei an und durfte dann mit des Seilers Tochter kopulieren.
    Schon bald entwickelte das Haus einen Ruf als Ort, an dem man sich mit einiger Sicherheit darauf verlassen konnte, auf die Nase zu fallen. Die Leute zogen ein und mit aschfahlen Gesichtern und schrecklichen Wunden jäh wieder aus. Als das Haus 1930 ein letztes Mal zum Verkauf stand, fand man keinen Interessenten mehr. Es blieb zwanzig Jahre unbewohnt und wurde 1950 schließlich abgerissen. Jetzt ist die Stelle mit Unkraut überwachsen, und man könnte darüber spazieren, ohne je auf die Idee zu kommen, daß sich hier einmal eines der feinsten Häuser im Norden Englands befand. Aber wenn man in dem hohen Gras herumstochert, was wir prompt taten, stößt man auf den Boden eines alten Wintergartens. Er besteht aus adrett gemusterten schwarzen und weißen Kacheln und erinnerte mich seltsam an das römische Mosaik, das ich in Winchcombe gesehen hatte. Und versetzte mich nicht weniger in Erstaunen.
    Schon eigenartig, sich vorzustellen, daß Titus Salt vor einem Jahrhundert hier an dieser Stelle in einem prächtigen Haus gestanden und in das Tal des Aire hinabgeschaut hat, weit unten auf die riesige Salt’s Mill, die die Luft mit Klirren, Dampf und Rauch erfüllte, und dahinter breitete sich das reichste Zentrum des Wollhandels in der Welt aus, und nun ist alles verschwunden. Was würde der alte Titus Senior denken, wenn man ihn wieder hierherbrächte und ihm zeigte, daß das Familienvermögen futsch und seine geschäftige Fabrik nun voll schicker, chromblitzender Küchenutensilien und tuntiger Bilder nackter Schwimmer mit glänzenden Hinterbacken ist?
    Lange blieben wir auf diesem einsamen Gipfel stehen. Von dort oben kann man meilenweit über das Airedale sehen, überall klettern die Städte und Häuser die steilen Hänge bis zu den rauhen Hochmooren hinauf, und wie sooft, wenn ich an einem Hügel in Nordengland stehe, überlegte ich, was all die Menschen in all den Häusern tun. Früher war das Airedale von hinten bis vorn voller Fabriken – allein in Bingley gab es zehn oder noch mehr -, und nun sind sie buchstäblich alle weg, abgerissen, um Supermärkten Platz zu machen, oder in Apartmenthäuser oder Einkaufszentren verwandelt. French’s Mill, Bingleys letzte überlebende Textilfabrik, war seit ein, zwei Jahren geschlossen und stand nun mit zerbrochenen Fenstern einsam und verlassen dort.
    Was mich bei unserem Umzug nach Nordengland mit am meisten überraschte, war, wie sehr man sich hier wie in einem anderen Land fühlte. Teilweise, weil der Norden eine ganz andere Atmosphäre hat und anders aussieht – weite Hochmoore und ein endloser Himmel, die langen, gewundenen Bruchsteinmauern, schmutzige Fabrikstädte, Dörfer mit behaglichen Steincottages in den Dales und im Lake District – und teilweise natürlich wegen der Akzente, der anderen Worte, der erfrischenden, wenn auch manchmal verblüffend freimütigen Art zu reden. Und ganz bestimmt auch, weil die Engländer aus dem Süden ebenso wie die aus dem Norden so wahnsinnig, manchmal aufreizend stur auf ihrer Ignoranz beharren, was die Geographie des jeweils anderen Landesteils betrifft. Als ich in London bei den verschiedenen Zeitungen arbeitete, war ich immer erstaunt, wie oft man eine Frage wie »Liegt Halifax in Nord- oder Süd-Yorkshire?« durch den Raum rufen konnte und als Antwort nur ratloses Stirnrunzeln an den Schreibtischen ringsum erntete. Und als ich in den Norden zog und den Leuten sagte, ich hätte davor in Surrey, in der Nähe von Windsor gewohnt, begegnete ich oft demselben Blick –

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