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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Landschaft – ein gewaltiger Unterschied zu dem ungesunden Sündenpfuhl der Bradforder Innenstadt, wo in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts mehr Bordelle als Kirchen standen und kein einziger Meter Abwasserleitung bedeckt war. Salts Arbeiter zogen aus düsteren, verrußten, engen Hinterhofhäusern in luftige, geräumige Cottages, von denen jedes einen Hof, einen privaten Gasanschluß und wenigstens drei Zimmer und Küche hatte. Sie müssen sich wie im Paradies vorgekommen sein.
    An einem Hang, der über den Fluß Aire und den Leeds-Liverpool-Kanal schaute, ließ Salt ein gewaltiges Werk errichten, den Palace of Industry, damals die größte Fabrik Europas. Sie erstreckte sich über vier Hektar und war mit einem eindrucksvollen Campanile geschmückt, der dem von Santa Maria Gloriosa in Venedig nachempfunden war. Des weiteren ließ Salt einen Park anlegen sowie eine Kirche, eine Anstalt für »Konversation, Erquickung und Bildung«, ein Krankenhaus, eine Schule und 850 saubere, ordentliche Steinhäuser in einem regelmäßigen Netz gepflasterter Straßen bauen, deren meiste nach Salts Gattin und seinen elf Kindern benannt wurden. Die Anstalt war vielleicht das bemerkenswerteste seiner Projekte. Sie sollte natürlich die Arbeiter vor allem von den Gefahren des Alkohols fernhalten und beherbergte eine Sporthalle, ein Laboratorium, einen Billardraum, eine Bibliothek, einen Leseraum und einen Vortrags- und Konzertsaal. Nie zuvor hatten Fabrikarbeiter großzügiger Gelegenheit bekommen, sich in jeder Hinsicht zu bilden, und sie ergriffen sie massenhaft und begeistert. James Waddington, ein Wollsortierer, der nie eine Schule besucht hatte, wurde zum Beispiel als Sprachforscher eine weltweit anerkannte Autorität und ein Star der Phonetic Society of Great Britain and Ireland.
    Kaum zu glauben, aber Saltaire ist noch immer intakt, wenn auch die Häuser in Privatbesitz sind und die Fabrik schon lange keine Tuche mehr herstellt. Ein Stockwerk beherbergt eine wundervolle – und kostenlose – ständige Ausstellung der Werke David Hockneys, und in den anderen werden die irrsten Designerklamotten verkauft, schicke, edle Haushaltsgegenstände, Bücher und künstlerisch wertvolle Postkarten. Es war ein richtiges kleines Wunder, diese Yuppieenklave in einer vergessenen Ecke des Großraums Bradford. Und sie schien zu blühen und gedeihen.
    David Cook und ich sahen uns in aller Gemütsruhe in der Galerie um – ich hatte Hockney nie so recht zur Kenntnis genommen, aber ich kann Ihnen sagen: Malen kann der Bursche! – und wanderten dann durch die Straßen mit den ehemaligen Arbeitercottages. Sie waren alle gemütlich und liebevoll gepflegt und erhalten. Durch Roberts Park schlenderten wir nach Shipley Glen, einer bewaldeten Schlucht, die zu einer weiten öffentlichen Grünanlage führt, wo die Leute normalerweise ihre Hunde trainieren. Sie sieht aus, als sei sie von jeher verwildert und sich selbst überlassen gewesen, dabei befand sich hier vor hundert Jahren ein überaus erfolgreicher Vergnügungspark – einer der ersten der Welt.
    Zu den vielen Attraktionen zählten eine Gondelbahn, eine Achterbahn und die »größte, steilste, phantastischste Tobogganbahn, die je auf Erden errichtet wurde«. Ich habe Fotos gesehen, Damen mit Sonnenschirmen und Männer mit Schnurrbärten und steifen Kragen, und es sieht wahrhaftig alles sehr gefährlich aus, besonders die Schlittenbahn, die ungefähr fünfhundert Meter einen kolossal steilen, gefahrlichen Hügel hinunter verlief. Als eines Tages im Jahre 1900 ein Wagen voll schick gekleideter Tobogganfahrer diesen Hügel hinaufgezurrt wurde, um auf eine weitere Horrorreise hinuntergeschickt zu werden, krachte das Windenkabel, das Ding geriet außer Kontrolle und die Fahrgäste wurden in einen ästhetisch unschönen, aber aufregenden Tod am anderen Ende geschleudert. Und das war dann mehr oder weniger auch das Ende des Shipley-Glen-Rummels. Heute ist von den ursprünglichen Sensationen nur noch die mickrige Glen Tramway übrig, die seit 1895 auf einem Hang in der Nähe unauffällig und behäbig auf und ab tuckert, doch im hohen Gras fanden wir ein Stück alte Schiene von der Schlittenbahn, woraufhin es uns ein wenig kalt den Rücken runterlief.
    Das ganze Gelände ist eine archäologische Stätte der nicht allzuweit entfernten Vergangenheit. Etwa eine Meile danach, an einem überwachsenen Pfad, befand sich Milner Field, eine reich verzierte Villa, die Titus Salt im Jahre 1870 errichten

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