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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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einer Art nervöser Unsicherheit, als hätten sie Angst, daß ich als nächstes sagte: »So, jetzt zeigt mir mal auf der Karte, wo das ist.«
    Was den Norden vom Süden aber am allermeisten unterscheidet, ist das allgegenwärtige Gefühl des Verlusts der wirtschaftlichen Bedeutung, vergangener Größe, wenn man durch Städte wie Preston oder Blackburn fährt oder an einem Berg wie diesem steht. Zieht man eine Linie zwischen Bristol und dem Wash, teilt man das Land in zwei Hälften mit ungefähr siebenundzwanzig Millionen
    Einwohnern auf jeder Seite. Zwischen 1980 und 1985 gingen in der südlichen Hälfte 103600 Jobs verloren, in der nördlichen im selben Zeitraum 1032000, also fast zehnmal soviel. Und immer noch werden Fabriken stillgelegt. Stellen Sie an einem beliebigen Abend die Lokalnachrichten im Fernsehen an, wird mindestens die Hälfte der Zeit über Fabrikschließungen berichtet. (Die andere Hälfte über eine Katze, die irgendwo in einem Baum hängengeblieben ist. Ein echter Härtetest, diese Lokalnachrichten in der Glotze!) Also frage ich noch einmal: Was tun all die Leute in all den Häusern – und was, viel wichtiger, tun ihre Kinder?
     
    Wir verließen Milner Field und wanderten über einen anderen Weg Richtung Eldwick an einem großen, eleganten Pförtnerhaus vorbei. David gab einen Wehmutslaut von sich. »Hier hat ein Freund von mir gewohnt«, sagte er. Nun zerfiel es, die Fenster und Türen waren zugemauert. Fürchterlich, ein feines Haus ließ man einfach so verkommen. Auch den alten ummauerten Garten daneben hatte man verwildern lassen.
    David zeigte auf ein Haus auf der anderen Straßenseite. Dort war Fred Hoyle aufgewachsen. In seiner Autobiographie erinnert sich Hoyle, wie er immer Diener mit weißen Handschuhen durch das Tor von Milner Field hat ein- und ausgehen sehen, schweigt sich aber mysteriöserweise aus über die Skandale und Tragödien, die sich hinter der hohen Mauer abgespielt haben. In der sicheren Erwartung, daß die ersten Kapitel von wilden Schießereien und mitternächtlichen Schreien strotzten, hatte ich in einem Buchantiquariat drei Pfund für das Teil hingeblättert. Sie können sich also meine Enttäuschung vorstellen.
    Ein bißchen weiter kamen wir an drei großen Mietshäusern vorbei – sozialer Wohnungsbau –, die nicht nur häßlich und isoliert, sondern auch so komisch und gedankenlos hingeknallt waren, daß sie zwar an einem Hang standen, die Mieter aber eigentlich keinen Ausblick hatten. Dafür hatte es natürlich Architekturpreise geregnet, erzählte David mir.
    Als wir in einem weiten Bogen über einen Abhang hinunter nach Bingley schlenderten, erzählte er mir von seiner Kindheit dort in den Vierzigern und Fünfzigern. Er malte ein schönes Bild glücklicher Zeiten, in denen man ins Kino ging (»mittwochs ins Hippodrome, freitags ins Myrtle«), Fish and Chips aus Zeitungspapier aß und Dick Barton und Top of the Form im Radio hörte – eine magische kleine, untergegangene Welt, in der mittwochs nachmittags die Läden geschlossen hatten, zweimal am Tag die Post zugestellt wurde, die Leute Fahrrad fuhren und die Sommer endlos waren. Das selbstbewußte, blühende Bingley, das er beschrieb, spielte eine wichtige Rolle im Herzen eines stolzen, mächtigen Empire mit rauchenden Fabrikschloten, und in der Stadtmitte gab es Kinos, Tea Rooms und interessante Läden. Was für ein Unterschied zu dem heruntergekommenen, schäbigen, vom Verkehr malträtierten Ort von heute. Das Myrtle und das Hippodrome hatten schon vor Jahren dichtgemacht. In letzterem war danach ein Woolworth’s eingezogen, aber das war nun auch schon wieder lange draußen. Heute wird die Stadtmitte von dem Hochhaus der Bradford and Bingley Building Society überragt – für einen solchen Bau nicht mal so häßlich, aber hoffnungslos unproportioniert im Verhältnis zur Stadt darum herum. Zwischen dem Hochhaus und einem wahrhaft erbärmlichen Backstein-einkaufsviertel aus den Sechzigern ist das Zentrum Bingleys irreparabel zerstört worden. Da war es schon eine angenehme Überrraschung, daß die Stadt darum herum immer noch ganz entzückend ist.
    Wir gingen an einer Schule und einem Golfplatz vorbei zu einem Ort namens Beckfoot Farm, einem hübschen Steincottage an einem rauschenden Wildbach in einem bewaldeten Tal. Die Hauptstraße nach Bradford war nur ein paar hundert Meter entfernt, aber hier fühlte man sich wie in einem anderen, noch nicht motorisierten Jahrhundert. Wir gingen einen in dem weichen

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