Reif für die Insel
mich anständig an und fuhr zur Arbeit in die Times .
Damals nun veranstaltete Philip Howard, der liebenswürdige Feuilletonchef (Das hätte ich in Anbetracht seiner Position ohnehin gesagt, aber es stimmt: Er ist ein richtiger Gentleman.), ein paarmal im Jahr Buchverkäufe für die Belegschaft; immer dann, wenn sich in seinem Büro die Rezensionsexemplare stapelten und er seinen eigenen Schreibtisch nicht mehr fand. Das waren stets aufregende Tage, weil man stoßweise Bücher praktisch umsonst bekam. Er nahm so was in dem Dreh von 25 Pence für gebundene und 10 Pence für Taschenbücher und gab den Erlös dann an die Leberzirrhosestiftung oder eine andere Journalisten lieb und teure Wohltätigkeitsorganisation. An diesem Tag nun kam ich zur Arbeit und sah auf einem Zettel an den Aufzügen, daß um vier Uhr ein Buchverkauf stattfinden würde. Es war fünf vor, ich warf meinen Mantel auf den Schreibtisch und flitzte in Howards Zimmer. Dort wimmelte es schon von Interessenten. Ich stürzte mich ins Gewühl, und wie hieß das erste Buch, auf das mein Blick fällt?
Bemerkenswerte wahre Zufälle.
Ist das nun ein bemerkenswerter wahrer Zufall oder nicht? Und jetzt kommt das geradezu Unheimliche. Ich schlug es auf und stellte fest, daß es nicht nur mehr Material enthielt, als ich jemals verwursten konnte, sondern daß in die allererste zufallige Begebenheit, die abgehandelt wurde, auch noch ein Mann namens Bryson verwickelt war.
Diese Geschichte erzähle ich nun schon seit Jahren in Pubs, und jedesmal, wenn ich fertig bin, nicken meine Zuhörer eine Weile nachdenklich, wenden sich dann einander zu und sagen:
»Wißt ihr, ich glaube, ich kenne noch einen Weg nach Barnsley, bei dem man die M62 völlig vermeiden kann. Ihr kennt doch den Kreisverkehr mit dem Happy Eater in Guiseley? Also, wenn ihr da die zweite Ausfahrt nehmt …«
Na gut, ich blieb drei Tage zu Hause, stürzte mich, glücklich wie ein junger Hund, in das Chaos des häuslichen Lebens, tollte mit den Kleinen, beschenkte jedermann wahllos mit meiner Zuneigung und wich meiner Frau nicht von den Fersen. Außerdem unterzog ich meinen Rucksack einer gründlichen Reinigung, erledigte die Post, schritt besitzerstolz durch den Garten und genoß das Vergnügen, jeden Morgen im eigenen Bett aufzuwachen, in vollen Zügen.
Da ich die Aussicht, so rasch wieder Abschied nehmen zu müssen, nicht ertrug, beschloß ich, noch ein wenig zu bleiben und ein paar Tagesausflüge zu unternehmen. Und so geschah es, daß ich am dritten Morgen meinen lieben Freund und Nachbarn, den begabten Maler David Cook abholte und mit ihm eine Tageswanderung nach Saltaire und Bingley, seiner Heimatstadt, machte. Es war schrecklich nett, zur Abwechslung mal Gesellschaft zu haben, und interessant, diese kleine Ecke Yorkshires mit den Augen von jemandem zu sehen, der dort aufgewachsen ist.
Ich war vorher noch nie richtig in Saltaire gewesen. Was war es für eine herrliche Überraschung! Und falls Sie es nicht wissen, Saltaire ist eine Mustersiedlung, die der
Fabrikant Titus Salt zwischen 1851 und 1876 für seine Arbeiter anlegen ließ. Den ollen Titus angemessen zu beurteilen, ist nicht ganz leicht. Einerseits gehörte er zu dieser unattraktiven Spezies antialkoholischer, selbst-gerechter, gottesfürchtiger Industrieller, die das neun-zehnte Jahrhundert so reichlich hervorgebracht hat – ein Mann, der seine Arbeiter nicht nur beschäftigen, sondern auch besitzen wollte. Wer in seiner Fabrik arbeitete, mußte in seinen Häusern wohnen, in seiner Kirche beten und seine Gebote bis aufs I-Tüpfelchen befolgen. Er gestattete kein Pub im Dorf, und für den Park verfügte er solch strenge Einschränkungen hinsichtlich Lärms, Rauchens, sportlicher Betätigung und anderer unanständiger Aktivitäten, daß dort nicht sehr viel Spaß zu holen war. Die Arbeiter durften mit Booten auf den Fluß – aber aus irgendeinem Grund immer nur vier zur selben Zeit. Kurz und gut: Ob es ihnen paßte oder nicht, notgedrungen waren sie nüchtern, fleißig und friedfertig.
Andererseits offenbarte Salt in puncto Sozialfürsorge ein seltenes Ausmaß an Aufgeklärtheit, und es steht außer Frage, daß sich seine Beschäftigten hygienischerer, gesünderer und angenehmerer Lebensbedingungen erfreuten als die meisten anderen Industriearbeiter der Welt zu dieser Zeit.
Heute ist Saltaire zwar in dem großen Ballungsgebiet zwischen Leeds und Bradford aufgegangen, aber bei seiner Erbauung lag es in einer sauberen, offenen
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