Reif für die Insel
Harrogates neueste Errungen-schaft, das Victoria Gardens Shopping Centre, anzusehen. Der Name ist ein starkes Stück, denn sie haben es auf den Victoria Gardens gebaut. Es sollte eher »Der schöne kleine Park, der von diesem Shopping Centre zerstört wurde« heißen.
Das wäre mir ja noch einerlei, wenn sie dort nicht auch die letzten prächtigen öffentlichen Toiletten in Großbritannien abgerissen hätten – eine unterirdische kleine Schatzkammer mit blitzsauberen Kacheln und glänzendem Messing. Die Herrentoilette war einfach wunderbar, und von der Damentoilette habe ich auch nur das Beste gehört. Aber selbst das wäre vielleicht noch akzeptabel, wenn das neue Einkaufszentrum nicht herzzerreißend schrecklich wäre, allerübelster historisierender Stilmischmaschnach der Devise Bath Crescent neben dem Crystal Palace mit Polyesterdach. Aus unerfindlichen Gründen ist eine Dachbrüstung mit lebensgroßen Statuen von ganz normalen Männern, Frauen und Kindern geschmückt worden. Gott allein weiß, was das bedeuten soll – ich vermute, es soll so was wie eine Ruhmeshalle des Volkes sein –, es sieht aber so aus, als wollten zwei Dutzend Bürger verschiedenen Alters gleich Massenselbstmord begehen.
Auf der Seite des Gebäudes zur Station Parade, wo sich vormals der nette kleine Victoria Gardens und seine nette kleine öffentliche Toilette befanden, bilden Treppen jetzt eine Art Open-air-Amphitheater. Hier sollen sich die Leute wahrscheinlich an den zwei, drei Tagen hinsetzen, wenn in Yorkshire die Sonne scheint. Und über die Straße führt eine wahrhaft groteske überdachte Fußgängerbrücke im selben georgianischen/italienisierten/weiß-der-Henker was für einem Stil, der bei dem Parkhaus auf der anderen Straßenseite seinen Niederschlag gefunden hat.
Vielleicht nehmen Sie törichterweise an, daß ich mich für solche Bauten begeistere. Leider ist das nicht der Fall. Wenn mit »Bauen im historischen Bestand« gemeint ist, daß man in gewisser Weise von der Umgebung Notiz nimmt und sich vielleicht auch noch die Mühe macht, an die Traufhöhen daneben anzuschließen und auf Größe und Position der Fenster und Türen der Nachbarn Rücksicht zu nehmen und dergleichen, ja, dann finde ich das schon gut.
Wenn aber damit eine Disneyland version von »Jolly Old England« wie dieser lachhafte Klotz vor mir gemeint ist, dann, nein, danke.
Vermutlich könnte man anführen – und das würden die Architekten von Victoria Gardens wahrscheinlich –, es zeige wenigstens den Versuch, traditionelle architektonische Elemente ins Stadtbild miteinfließen zu lassen, und verletze feinfühligere Betrachter weniger als der Glas- und Plastikkasten in der Nähe, in dem die Co-op es sich gemütlich gemacht hat, einem Bau von, ich muß es sagen, vollendeter Häßlichkeit. Aber ich bin der Meinung, daß solche Bauten genauso übel und auf ihre Art sogar noch uninspirierter und phantasieloser sind als das jämmerliche Co-op-Gebäude.
Ja, was tun mit den armen, geschlagenen Städten Großbritanniens, wenn man weder auf Richard Seifert noch auf Walt Disney steht? Ich wünschte, ich wüßte es. Es muß doch eine Möglichkeit geben, Häuser zu bauen, die modern und stilvoll sind und dennoch nicht das ganze Ambiente ihres Standortes zerstören. Die meisten anderen europäischen Nationen (kurioser- und erwähnens-werterweise mit Ausnahme der französischen) schaffen das doch auch. Warum dann nicht Großbritannien?
Aber genug gemeckert und genörgelt. Harrogate ist im Grunde sehr schön und viel weniger von gedankenlosen Stadtplanern entstellt als viele andere Kommunen. Der Stray, eine neun Hektar große öffentliche Grünfläche, auf die riesige Villen herabblicken, zählt zu den größten und schönsten Parks im Land. Es hat ein paar hübsche alte Hotels, ein angenehmes Einkaufsviertel und obendrein eine Atmosphäre von Ordnung und Kultiviertheit. In einem Satz, eine schönere Stadt finden Sie so leicht nicht. Auf seine angenehm englische Art erinnert es mich ein wenig an Baden-Baden, was natürlich nicht weiter verwunderlich ist, weil es ja auch einmal ein Kurort war – und noch dazu ein sehr beliebter. Auf einem Faltblatt, das ich im Royal Pump Room Museum mitnahm, stand, daß in der Trinkhalle noch 1926 an einem Tag 26000 Gläser schwefelhaltigen Wassers ausgeteilt wurden. Wenn man will, kann man das Wasser immer noch trinken. Laut eines Zettels am Hahn ist es gut für Blähungen, was ich sehr verheißungsvoll fand. Fast hätte ich
Weitere Kostenlose Bücher