Reigen des Todes
Anschließend wird meine Tochter in eine warme Decke gehüllt und zu Bett gebracht. Dort soll sie der Doktor Wasserkandl untersuchen und ihr Beruhigungsmittel geben. Den Doktor können S’ jetzt gleich rufen.«
Voll Erregung ging Collredi, nachdem er diese unangenehme Situation gemeistert hatte, in seiner Bibliothek auf und ab. Mit Spannung wartete er auf Steffi Moravec. Von den Bediensteten erfuhr er den Grund der ganzen Aufregung: Seine Tochter hatte eine Riesenauseinandersetzung mit der Moravec gehabt. Und als Steffi seine Tochter geohrfeigt hatte, drehte diese vollkommen durch. Das hatte die Moravec aber kalt gelassen, seelenruhig war sie zu einem Bummel durch die Stadt aufgebrochen. Im Übrigen erfuhr er von seinem Kammerdiener, dass sich seine Tochter wie ein ausgesprochenes Gfraßt 34 zu ihrer neuen Gesellschaftsdame verhielt. Sie stellte sie bei jeder Gelegenheit bloß und wusste auch immer alles besser. Kurzum, sie zeigte der Moravec, dass sie ein hochwohlgebornes Fräulein aus einem uralten Geschlecht war – die Collredis wurden im 14. Jahrhundert geadelt – und dass sie ihre Gesellschaftsdame als einen Trampel 35 aus der Vorstadt ansah. Da ihm seine Tochter schon immer fremd war, berührte ihn dieser Konflikt nicht. Im Gegenteil, er fand das alles recht amüsant.
Und das rasende Weib, zu dem sich seine Tochter heute entwickelt hatte, fand er sogar recht attraktiv. Ja, die ganze Szene hatte seine Sinne erregt. Und darum wartete er nun sehnsüchtig auf die Moravec. Er war sich übrigens sicher, dass sie sich nach und nach gegen seine Tochter sowie gegen die zum Teil ebenfalls aufsässigen Dienstboten durchsetzen würde. Und was die Etikette und die Umgangsformen betraf, hatte er der Steffi Unterricht bei einer entfernten Verwandten, die dringend Geld benötigte, verordnet. Das ärgerte Steffi sehr. Ein Ärger, den Collredi wiederum absolut genoss. Und als sie endlich daherkam, zog er sich mit ihr in seine Privatgemächer zurück. Nach einem heftigen Orgasmus machte er es sich zu ihren Füßen bequem. Er ließ den Tag voll Vergnügen vor seinem geistigen Auge Revue passieren, eine Welle heftigen Glücks überkam ihn, sodass er ihr kräftig in den großen Zeh biss.
XIII/2.
»Wo steckt nur dieses vermaledeite Weibsbild?«, fragte sich Joseph Maria Nechyba immer wieder. Seit über zwei Wochen suchte er nun schon die Steffi Moravec. Er konnte ihren Aufenthaltsort aber weder mittels des Centralmelderegisters der Polizei 36 noch durch seine zahlreichen Spitzel, die in allen Ecken und Winkeln der Stadt die Augen und Ohren offen hielten, finden.
Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Solch unersprießliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er seine Körperfülle kurz nach sieben Uhr früh in einen geliehenen Frack zwängte. Dies geschah in einem engen Kammerl, das sich im Kavalierstrakt des Schlosses Schönbrunn befand. Dabei kam er gehörig ins Schwitzen, weil die Hose um den Bund etwas zu eng war. Allerdings musste er damit leben, da dieser Frack der größte im Angebot des Verleihers war. Nechyba, der aufgrund seiner Größe und seines Leibesumfanges so etwas befürchtet hatte, fluchte halblaut vor sich hin. Warum nur, warum, musste gerade er mit seiner Polizeiagentengruppe für die Sicherheit Seiner Majestät und der geladenen Festgäste sorgen? Dieses verdammte Fest, die Kinderhuldigung, war seit über einem Jahr von der Stadt Wien und vom Obersthofmeisteramt vorbereitet worden. Von Anfang an war auch Zentralinspector Ferdinand Gorup von Besanez als Verantwortlicher für die Sicherheit mit eingebunden gewesen. Und deshalb war er, Nechyba, heute hier. Ihm wurde ganz schwindlig im Kopf, als er an seinen Auftrag dachte. Gorup von Besanez hatte ihn als Leibwächter Seiner Majestät vorgesehen. Der Befehl lautete, dass er sich während des Festaktes immer in unmittelbarer Nähe des Kaisers aufzuhalten hatte. Nicht nur die große Verantwortung, sondern auch die Erinnerung an das Attentat auf den Grafen Potocki verursachten bei ihm mulmige Gefühle. Außerdem hatte er für diese vermaledeite Kinderhuldigung auch einen detaillierten Plan ausarbeiten müssen, der genau vorsah, welcher seiner Männer sich zu welcher Gruppe von Festgästen als Schutz zu gesellen hatte. Pospischil, ein schmächtiges Manderl, so ein richtiges Zniachtl 37 , hatte er für den Bürgermeister Dr. Karl Lueger vorgesehen. Diese Karikatur eines k.k. Polizeiagenten kam im Fall des Falles kaum als effizienter Leibwächter in
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