Reigen des Todes
Kälte aus, die jedem das Gefühl gab, einem Eisblock auf zwei Beinen zu begegnen. Da sie zwar kalt, aber nicht unsensibel war, irritierte sie die Ablehnung, die ihr entgegenschlug. Ein unangenehmes Gefühl, unter dem sie besonders litt, wenn Collredi nicht in ihrer Nähe war. Und das war er nun schon seit vielen Stunden nicht. Am Vorabend hatte er ein exquisites Diner à deux zubereiten lassen, das sie gemeinsam in dem mit Spiegeln und einem prächtigen Deckengemälde des Barockmalers Michael Rottmayr ausgestatteten Festsaal genossen hatten. Ein wunderbares Erlebnis, denn der Saal war vom weichen, flackernden Licht Hunderter Kerzen beleuchtet worden. Dazu sorgte ein Kammermusikquartett mit Werken von Joseph Haydn für festliche musikalische Untermalung. Danach hatte sich Collredi mit einem langen Kuss von ihr verabschiedet und alleine in sein Schlafgemach begeben. Da sie wusste, dass am nächsten Morgen das Duell stattfinden würde, konnte sie quälend lange nicht einschlafen. Als sie schlussendlich vom Schlaf übermannt wurde, suchte sie ein entsetzlicher Albtraum heim. Der Leichnam des Baron Vestenbrugg schwebte, von Gärgasen aufgeblasen und von der Verwesung schon arg ramponiert, auf sie zu. Dabei verlor Vestenbrugg Teile seines Gesichts, die mit ekelhaft klatschenden Geräuschen auf den Parkettboden fielen. Dort begannen sie, ein schlüpfrig gallertiges Eigenleben zu entwickeln. Wie Tausendfüßler krabbelten sie auf Steffi zu, während sie schmatzende Geräusche von sich gaben. In ihrer Panik flüchtete sich Steffi in eine Zimmerecke, wo sie ein Stoßgebet zum Himmel schickte. O Herr, lass diesen Albtraum enden, bevor mich diese schmatzenden Fleischfetzen erreichen. Und da zumindest Träume manchmal in Erfüllung gehen, zerriss es Vestenbrugg genau in dem Moment, als sie die erste, nesselartige Berührung des schnellsten Leichenteils auf ihrem nackten Fuß spürte. Gleichzeitig schoss ein Auge Vestenbruggs wie eine Pistolenkugel auf ihre Stirn zu und durchbohrte diese. Schweißgebadet wachte die Moravec auf. Zwischen den Vorhängen ihres Himmelbettes blinzelten freundliche Sonnenstrahlen herein. Sie läutete nach ihrer Zofe. Diese öffnete die Vorhänge und fragte, ob das gnädige Fräulein gut geschlafen hätte.
»Grässlich«, antwortete die Moravec und ordnete an, ein heißes Bad einzulassen. Als sie nach der mit Juwelen besetzten Damenuhr griff, die ihr Collredi geschenkt hatte, erschrak sie. Es war bereits Viertel vor zehn Uhr. Normalerweise wäre der Graf schon längst in ihr Schlafzimmer gekommen und hätte sie zärtlich geweckt. Ein Vergnügen, das sich der Frühaufsteher fast jeden Tag gönnte. Denn in der Früh war die Moravec noch verletzlich und hilflos. Obwohl er sonst ihre Härte und Grausamkeit liebte, mochte er diese Seite auch sehr. Sein Nichterscheinen war ein böses Omen. Das nächste Alarmzeichen war ein lieblos gekochtes Mittagessen, das teils aus kalten und teils aus aufgewärmten Resten bestand. Der Koch, den sie infolge dieser Frechheit zur Rede stellen wollte, ließ sich verleugnen. Als sie voll Wut in die Küche ging, musste sie feststellen, dass er verschwunden war. Außer sich marschierte sie zu Collredis Verwalter, um die Entlassung des Kochs zu veranlassen. Leider musste sie feststellen, dass Bohumil Jezek ebenfalls nicht im Haus weilte.
Um vor Ärger nicht zu zerplatzen, beendete sie ihr nervöses Herumirren im Haus. Sie bemühte sich, ihre Contenance wiederzufinden und ließ sich von ihrer Zofe für einen Nachmittagsspaziergang in der Stadt ankleiden. Dieser kleine Ausflug sowie der Genuss einer Schale Melange und eines Marillenkuchens 46 beim Hofzuckerbäcker Demel beruhigte ihr Gemüt. Guter Dinge kehrte sie in das Palais zurück, wo ihr, so wie immer, von einem livrierten Diener die Schlupftür des mächtigen Eingangstors geöffnet wurde. Ungewöhnlich war, dass in der Toreinfahrt noch drei livrierte Diener standen. Sie verweigerten ihr den Zutritt ins Innere des Palais. Auf ihre Frage »Was steht ihr da im Weg herum wie die Kümmeltürken?« antwortete der Älteste der Diener: »Wir haben Anweisung, das Fräulein Moravec nicht weiter vorzulassen.«
Nun bekam Steffi einen Tobsuchtsanfall. Sie beschimpfte die Diener auf das Ordinärste, trat ihnen gegen die Schienbeine, rempelte sie an und schlug sie. Auf diese Weise gelang es ihr, die Absperrung zu durchbrechen und die prunkvolle Marmorstiege hinaufzulaufen. An deren oberem Ende erschienen infolge des Tumults
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