Reigen des Todes
Gute da unten bei den Bosniaken«, bezahlte im Stehen und rannte wie vom wilden Schwein gebissen aus dem Sperl.
Als er leicht verschwitzt und mit rotem Gesicht den mächtigen Türklopfer am Tor des Collredischen Palais betätigte, war er überrascht, dass ihm sofort ein Lakai öffnete. Ohne auf höfliche Floskeln Rücksicht zu nehmen, herrschte er den verdutzten Mann an: »Inspector Nechyba, k.k. Polizeiagenteninstitut. Wo ist das Fräulein Moravec?«
Er wartete keine Antwort ab, sondern drängte den Bediensteten einfach zur Seite und keuchte einem Dampfross gleich die Prunkstiege empor. Der Lakai rief ihm in bittendem Tonfall nach, doch stehenzubleiben und etwas Geduld zu haben. Doch Geduld war des Inspectors Sache nicht. Im ersten Stock des Palais’ riss er die erstbeste Flügeltür auf und befand sich in einem riesigen Saal. Er durchquerte ihn flotten Schrittes und kam zu einer Türe, die in einen kleineren Saal führte. Dahinter befand sich wieder eine Tür, durch die er in ein Kabinett gelangte. Hier traf er auf Bohumil Jezek.
»Wo ist die Moravec?«, fuhr er den Verwalter an. Als dieser laut auflachte, musste Nechyba sich sehr zusammennehmen, um ihn nicht beim Kragen zu packen und kräftig durchzuschütteln, damit sein Hirn zusammenränne.
Dass er das nicht getan hatte, dafür war er sich selbst eine Viertelstunde später sehr dankbar. Denn der arme Jezek konnte ja wirklich nichts dafür. Trotzdem ärgerte sich Nechyba maßlos. Wäre er nur eine Dreiviertelstunde früher im Palais erschienen, hätte er die Moravec samt ihren zwei Koffern gleich ins Polizeigefangenenhaus verfrachten können. Aber diese Chance war vertan. Und im Palais hatte niemand eine Ahnung, wohin die Moravec sich samt ihren Koffern begeben hatte. Mit unheimlich viel Masl 48 war sie ihm entfleucht.
IV/3.
Die von Nechyba Gesuchte schleppte fluchend ihre beiden Koffer durch die Gegend. Die harten Ledergriffe brannten auf ihren Handflächen und sie hatte das Gefühl, dass ihre Arme immer länger und länger wurden. Erschöpft blieb sie an der Kreuzung Operngasse und Karlsplatz stehen und ließ die beiden schweren Koffer auf den Gehsteig knallen. Um ein Haar wäre eines dieser Trümmer einem jungen, kahl geschorenen Mann auf die Zehen gefallen, der gerade mit Schwung aus dem Café Museum herausgestürmt war. Steffi erschrak vor dem irren Blick des Kerls. Ein Blick, der sie von oben bis unten verschlang. Augen wie Vergrößerungsgläser, die jeden Millimeter von ihr untersuchten.
»’tschuldigen Sie, der Herr«, murmelte die
Moravec.
Plötzlich blitzte der Schalk in seinen Augen auf. »Fast hätten S’ mir die Zehen amputiert. Aber solang es nicht meine Finger sind, ist mir das wurscht.«
Die Moravec fasste sich und erwiderte: »Ah so? Wozu brauchen S’ denn Ihre Finger so dringend?«
»Zum Malen und Zeichnen. Oskar Kokoschka mein Name.«
»Klingt wie eine Süßigkeit. So wie Kokosbusserln …«
»Sie sind ganz schön keck, mein Fräulein. Das g’fallt mir. Darf ich Ihnen die schweren Koffer tragen helfen? Ganz gleich wohin – ich stehe zu Ihrer Verfügung.«
»Wenn ich das nur wüsste«, seufzte die Moravec und warf ihm einen koketten Blick zu.
»Ja haben Sie keine Wohnung? Kein Dach überm Kopf?«
»Auch wenn Sie’s nicht glauben sollten, genau so ist es.«
Kokoschka musterte sie nochmals von oben bis unten, bemerkte ihre teure Kleidung und auch die hervorragende Qualität der Koffer, und zuckte resignierend die Schultern. »Schade, ich hätt’ Ihnen gerne die Koffer heimgetragen.«
»Na ja, vielleicht tragen S’ mir die Koffer in die nächste Gaststätte und laden S’ mich dort auf ein Bier ein.«
»Na gut, schau ma halt zum Smutny. Eine Neueröffnung. Gleich ums Eck. Dort gibt’s ein hervorragendes Budweiser.«
In der Gastwirtschaft Smutny ließen sich die beiden an einem Ecktisch nieder und bestellten zwei Krügeln Bier. Nachdem sie einen kräftigen ersten Schluck getrunken hatten, wischten sie sich fast gleichzeitig die weißen Bärte, die die Schaumkrone verursacht hatte, von den Mündern. Die Moravec musste lachen und auch Kokoschka grinste. Das Eis war gebrochen und die beiden plauderten munter drauflos. Ohne Genierer 49 berichtete Steffi, wie sie gerade aus dem Collredischen Palais hinausgeworfen worden war. Kokoschka erzählte ihr von seinem Studium an der staatlichen Kunstgewerbeschule und von der Kunstschau, die gerade jetzt – Anfang Juni – eröffnet worden war. Dort hatte er erstmals
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