Rein Wie Der Tod
er. »Andreas sind in einem konkreten Fall ein paar Fragen gestellt worden, und es ist offensichtlich, dass er lügt. Und er ist mit der Tatsache konfrontiert worden, dass er lügt.«
Sie rührte sich nicht vom Fleck. Der Blick hinter den Brillengläsern flackerte.
»Und nun?«, sagte er und merkte selbst, wie abweisend und brüsk er wirken musste.
»Wir haben viel Zeit und Energie in Andreas investiert«, sagte sie. »Er hat eine wirklich tragische Geschichte. Sie fragen sich, warum ich hier bin und was ich will, das verstehe ich. Also - nennen Sie es eine Besorgnismeldung. Ich finde, er hat am Telefon gestern ein paar beunruhigende Signale gegeben. Ich habe ihn noch nie so außer sich erlebt, um es mal so auszudrücken. Ich glaube, Andreas steht gerade unter ungeheurem Stress.«
»Stress?«
»Ja, Stress. Wenn es um Mord geht, dann werde ich ziemlich unruhig, und das, was Sie sagen, macht mich nicht gerade ruhiger.«
Sie nahm die Brille ab und sah ihn an. Ohne die roten Striche über der Nase wurde ihr Gesicht menschlicher, im Grunde sogar ziemlich interessant. Ihre Oberlippe war leicht gewölbt, was dem Mund einen wissenden und sinnlichen Ausdruck verlieh. Eine lange, blonde Haarsträhne hatte sich aus der Spange gelöst. Sie strich sie sich hinter das Ohr. Schmale Hand, lange Finger, kurz geschnittene Nägel. Kein Ehering.
»Andreas ist leicht zu beeinflussen. Er möchte gern die Erwartungen anderer erfüllen. Von Leuten, die er bewundert, akzeptiert werden. Und genau darum geht es. Sein Problem war schon immer, dass er sich die falschen Vorbilder gesucht hat. Ständig geschehen irgendwelche Dinge, die Andreas sicherlich nicht geplant hat, aber Sie können darauf wetten, am Ende ist er derjenige, der in der Klemme sitzt. So aufgeregt, wie er gestern war, hab ich Andreas noch nie erlebt. Ich bin sehr beunruhigt, Frølich, sehr beunruhigt. Ist gestern etwas passiert, hat die Polizei irgendetwas mit ihm gemacht?«
Frølich schüttelte den Kopf. »Nicht gestern, jedenfalls weiß ich nichts davon.«
Sie sah ihn an und schwieg.
»Iselin«, sagte Frank Frølich vorsichtig. »Wenn Sie einen positiven Einfluss auf Andreas haben ...«
»Sie missverstehen da was«, sagte sie schnell.
»Ihre Besorgnismeldung ist auf jeden Fall angekommen«, fuhr er unverdrossen fort. »Meine Besorgnis gilt hingegen einem armen afrikanischen Mädchen, das hier im Land vollkommen fremd ist und das jetzt wie vom Erdboden verschluckt scheint. Ich glaube, Andreas hat etwas mit der Sache zu tun, und was Sie sagen, verstärkt meinen Verdacht nur noch. Das Beste, was Sie tun können, wenn Sie mit ihm telefonieren oder sonst irgendwie mit ihm sprechen, ist, ihm zu raten, die Wahrheit zu sagen. Wenn er nichts auf dem Kerbholz hat, um ein verschlissenes Klischee zu benutzen, dann hat er nichts zu befürchten und auch keinen Grund zu lügen. Die Wahrheit muss auf den Tisch. Er muss erzählen, was er über das verschwundene Mädchen weiß.«
Sie lehnte sich an die Wand, nach wie vor schweigend.
Als die Stille zu bedrückend wurde, sagte sie: »Ich denke nach.«
»Ich muss noch einmal mit ihm sprechen«, sagte Frølich. »Was Sie sagen, heißt für mich, dass dieses Gespräch dringend notwendig ist.«
Sie nickte nachdenklich. »Weil er gestern angerufen hat, hab ich gedacht, es ist vielleicht etwas geschehen - gestern.«
Sie holte tief Luft und sah auf die Uhr.
Er begleitete sie zur Tür. Iselin Grav blieb mit dem Rücken zu ihm stehen und wartete auf den Fahrstuhl. Erst jetzt bemerkte er ihre Figur. Die Formen.
Der Fahrstuhl kam.
Sie öffnete die Tür und drehte sich zu ihm um.
»Ich glaube nicht, dass sie tot ist«, sagte sie.
Die Tür schloss sich vor ihr.
Frølich fragte sich, was sie mit ihrem Besuch eigentlich bezweckt hatte.
Er ging zurück in die Wohnung, trat ans Fenster und sah hinunter. Nach einer Weile kam Iselin Grav aus dem Haus. Blondes Haar, schwarzer Hosenanzug und rote Schuhe. Sie setzte sich in einen Saab mit offenem Verdeck. Stil hatte sie jedenfalls - Blondine mit Cabrio.
Als sie losfuhr, wandte er sich ab und sah sich um. Das Erste, was er entdeckte, war die Brille mit der roten Fassung. Sie hatte sie vergessen.
Er legte die Brille auf das Regal, neben die Bierdose.
Nachdenklich, die Hände in den Hosentaschen, stand er da und betrachtete die beiden Objekte.
24
Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, machten es schwierig, die Schrift auf dem Bildschirm zu erkennen. Gunnarstranda zog die Gardinen
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