Rein Wie Der Tod
Grad ankündigte. Er war verschwitzt nach einem langen Arbeitstag und sprang unter die Dusche. Trotz der Hitze stellte er sich zuerst neben den Strahl und wartete, bis das Wasser warm geworden war. Hatte sich gerade erst die Haare eingeseift und ausgespült, als es an der Tür klingelte. Er wickelte sich ein Handtuch um den Körper, ging in den Flur und hob den Hörer der Gegensprechanlage ab.
Eine Frauenstimme antwortete. »Sind Sie der Frølich, der bei der Polizei arbeitet?«
»Ja.«
»Es geht um Andreas Langeland.«
Er drückte auf den Türsummer, lief zurück ins Bad, sprang in seine Jeans und warf sich einen Pulli über. Schaffte es noch, sich die Haare einigermaßen abzutrocknen, konnte sich aber nicht mehr kämmen, bevor es wieder klingelte.
Vor der Tür stand eine Frau in schwarzer Leinenhose und dazu passender Jacke. Sie war Ende vierzig, hatte dickes, blondes Haar und trug eine schmale Brille mit knallroter Fassung.
Er schüttelte den Kopf, fragend.
»Ich hätte natürlich vorher anrufen sollen«, sagte sie. »Ich heiße Iselin Grav.«
Er hielt ihr die Tür auf. »Tut mir leid, aber ich stand gerade unter der Dusche.«
Sie trat ein. Ihre Schuhe passten zur Brille. Sie waren ebenfalls knallrot. Das blonde Haar hatte sie mit einer großen Spange im Nacken gesammelt.
»Ich will nichts trinken«, sagte sie, als er begann, den Tisch abzuräumen. »Dies ist ein kurzer und völlig informeller Besuch.«
Er gab das Abräumen auf.
»Ich habe Ihren Namen von Andreas«, sagte sie. »Er hat mich gestern Abend angerufen.«
Frølich ließ sich auf das Sofa sinken. Zeigte auf den Sessel. »Und was für eine Beziehung besteht ...«
»Zwischen Andreas und mir?« Sie nahm auf dem Sessel Platz. »Ich bin Sozialarbeiterin und arbeite im sogenannten pädagogisch-psychologischen Schuldienst - dem PPS. Wir arbeiten in der Schule mit Schülern, die aus unterschiedlichen Gründen Betreuung brauchen, weil sie entweder spezifische Lernschwächen oder psychosoziale Probleme haben. Andreas ist volljährig und hat alles, was Schule heißt, vor einem Jahr hinter sich gelassen, aber davor hatte er mehrere Jahre lang Kontakt zum PPS, von der Mittelstufe an, bis er das Gymnasium verließ. Ich darf Ihnen nicht sagen, warum, aber es hatte auch mit seiner Familiensituation zu tun.«
Iselin Grav sprach mit gesenktem Blick, die rote Brille tief auf der Nase, als würde sie aus dem Manuskript einer Leseprobe vorlesen. Als sie Luft holte, ergriff Frølich die Chance.
»Andreas und Mattis sind Brüder?«
»Ja, aber sie haben verschiedene Väter. Mattis hat offensichtlich in seiner Kindheit bessere Voraussetzungen gehabt als Andreas - hatte aber einen unguten Einfluss auf seinen Bruder. Ich will wie gesagt nicht näher darauf eingehen, außerdem stehe ich unter Schweigepflicht. Aber da ich einige Jahre mit Andreas gearbeitet habe, kennt er mich und hat ein gewisses Vertrauen zu mir. Es gibt nicht gerade viele Erwachsene, zu denen Andreas Vertrauen hat. Also ...«
Sie sah an die Decke und suchte nach den richtigen Worten. »Gestern hat er mich also angerufen und wirkte ziemlich manisch. Und das - einfach die Tatsache, dass er angerufen hat, ist an sich schon ein aufsehenerregendes Signal. Es deutet darauf hin - tja, dazu vielleicht lieber später mehr. Er hat gesagt, dass die Polizei - also Sie - glauben, er habe eine Frau getötet.«
Sie schwieg und sah ihm in die Augen.
Frank Frølich erwiderte ihren Blick.
Iselin Grav schlug die Augen nieder.
Er fragte: »Warum sind Sie zu mir gekommen?«
»Sie müssen verstehen«, sagte sie und stand unruhig auf. Ging zum Fenster. Wandte ihm den Rücken zu. »Die Beziehung zwischen Andreas und mir beruht auf einem Vertrauen, das wir über mehrere Jahre aufgebaut haben. Ich habe nichts mehr mit ihm zu tun, und ich versuche, so gut ich kann, mich nicht in das Leben von Klienten verstricken zu lassen - privat. Aber wenn er anruft und offensichtlich verzweifelt ist, dann wäre es nicht vertretbar für mich, ihn abzuweisen.«
Sie drehte sich um, steckte die Hände in die Taschen und betrachtete ihn - abwartend.
Frank Frølich dachte sich seinen Teil. Sie hätte dem jungen Mann ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg geben können, aber es wäre nicht nötig gewesen, den Polizisten aufzusuchen, der sich mit einem Fall beschäftigte, in dem der Junge ein Zeuge war. War sie gekommen, um Informationen zu ergattern? Er wählte seine Worte mit Bedacht.
»Das Wort Mord ist nie gefallen«, sagte
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