Rein Wie Der Tod
vor. Da piepte sein Handy. Die SMS kam von Tove. Sie wollte wissen, welche Version von Come Rain Come Shine er am liebsten mochte. Was für eine Frage! Es gab ja viele Versionen - eine besser als die andere - Sara Vaughan, Art Blakeley, Ella, Chet, Bobby Hatfield, Ray Charles, Judy Garland - sogar der Texter Mercer höchstpersönlich. Während er darüber nachdachte, erinnerte er sich an den Text des Songs. Da verstand er die eigentliche Botschaft der Nachricht und schloss die Augen mit einem beschämten Lächeln.
Solche Nachrichten waren Toves Art, ihn in die Seite zu piksen. Sie weckten eine Freude auf die Zeit nach der Arbeit in ihm. Es hatte eine Weile gedauert, bis er dahin gekommen war. Vor wenigen Jahren noch hatte Freizeit für ihn bedeutet, zuhause zu sitzen und nicht zu verstehen, wie andere Leute es aushielten, gar nichts zu tun. Er wusste nicht mehr, wann diese Zeit aufgehört hatte. Aber er wusste, warum sie aufgehört hatte. Umständlich und unbeholfen tastete er die Antwort mit dem Daumen: deine. Den Rest sollte sie sich selbst zusammenreimen.
»Gunnarstranda?«
Er ließ das Handy fallen, als wäre er auf frischer Tat dabei ertappt worden, es zu klauen.
Lena Stigersand stand in der Tür. »Ja?«
»Bei unseren Fällen geht es offenbar immer wieder um Fotos«, sagte sie und kam einfach herein. Auf dem Arm trug sie einen aufgeklappten Laptop, den sie vor ihm auf den Tisch stellte. Der Bildschirm zeigte ein unscharfes Bild von Veronika Undset, aufgenommen von oben, durch ein Fenster.
Er zuckte zusammen. Er hatte sie niemals lebend gesehen. Ein Foto dieser Frau anzuschauen, in einer ziemlich intimen Situation, war so, als würde er sie ausspionieren.
Er sah zu Lena auf und lächelte angestrengt.
Sie klickte auf den Bildschirm.
Neues Foto. Das Motiv war herangezoomt. Die Fenstersprossen waren nur noch ein dunkler Schatten. Veronika Undset saß auf der Bettkante und war dabei, sich den BH aufzumachen. Nächstes Bild: Veronika Undset zog sich ein Nachthemd über den Kopf.
»Das stammt von der Festplatte, die wir in der Wohnung von Sivert Almeli gefunden haben«, sagte Lena. »Sie enthält über siebenhundert Fotos. Die Hälfte sind Naturaufnahmen, Blumen in der Nordmark, Schiffsbilder von den Inseln im Oslofjord, Sonnenuntergang über der Festung Akershus und Ähnliches. Die andere Hälfte sind Paparazzi-Fotos von Veronika Undset, meistens in ähnlichen Situationen wie dieser hier, aber auch beim Essen, beim Lesen, wenn sie aus der Haustür kommt oder den Bürgersteig entlanggeht.«
Gunnarstranda streckte den Arm aus und wanderte mit den Fingern über die Tastatur.
»Da«, sagte Lena Stigersand höflich und zeigte ihm, worauf er klicken musste. Er tat es. Neues Foto: Veronika Undset vor dem Haus. Danach: Veronika Undset in Gedanken versunken auf einem U-Bahnsteig. Nächstes Foto: close up. Die Studie eines Frauenprofils. Der Blick gesenkt. Mit verwischten Konturen.
»Das reinste Kunstfoto«, murmelte Gunnarstranda. »Glaubst du, sie wusste, dass sie fotografiert wird?«
Lena Stigersand schüttelte den Kopf. »Das hier ist ein Fall für die Psychiatrie. Spanner ist nicht ausreichend. Stalker passt besser. Er hat an allen möglichen Orten Fotos von ihr gemacht, vor der Fontäne bei Spikersuppa, sogar in der Nordmark.«
»Und sie hat nichts davon gewusst?«
»All diese sogenannten intimen Fotos sind durch das Fenster geschossen. Das deutet darauf hin, dass er spioniert hat. Aber er ist ihr schließlich auch sehr dicht gefolgt. Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass ihr nicht klar war, was sich abspielte. Ich vermute, er war ein Stalker, den sie kannte.«
»Sie hatte ein Foto von ihm - aufgenommen in der Spaßfabrik - im Freizeitpark Tusenfryd.«
»Ergo«, sagte Lena mit einem schiefen Lächeln, »muss sie gewusst haben, warum er dort war.«
Gunnarstranda lehnte sich nachdenklich zurück: »Sie hätte ihn anzeigen können.«
»Eine solche Anzeige hätte man schon zu den Akten gelegt, bevor sie aus der Tür gewesen wäre«, sagte Lena. »Solange er keine Gewalt angewendet oder sie bedroht hat.«
»Aber wir müssten die Anzeige finden können.«
Lena schnitt eine zweifelnde Grimasse. »Der zuständige Kollege hätte nach konkreten Drohungen oder Ähnlichem gefragt, und da hätte sie wohl kaum was in der Hand gehabt. Dann hätte sie brav auf dem Absatz kehrtmachen und wieder gehen müssen, ohne Anzeige. Und hätte dann sicher im Stillen beschlossen, bei der nächsten Wahl die
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