Rein Wie Der Tod
dem Iran oder Irak. Braune Augen, goldbraune Haut. »Ich warte noch ein bisschen.«
»Die machen dich an, stimmt's?«
Sie antwortete nicht, sah in eine andere Richtung. Irgendwo tief im Innern war sie froh, dass ihre Entscheidung immer klarer wurde. Vaya con Dios .
»Wir müssen reden«, sagte sie. »Über dich und mich.«
Er lächelte schief. »Ich fahre jetzt in Urlaub.«
Sie sah an ihm vorbei, um Kräfte zu sammeln.
Er griff nach ihrer Hand.
Sie zog sie zurück und fühlte sich stark. »Du fährst natürlich allein?«
Er schüttelte den Kopf.
Der Kellner war wieder da. Ob sie bestellen wollten?
»Wir warten noch«, sagte sie.
Der Kellner ging.
»Scheiße, Lena, ich hab Hunger!«
»Wohin fahrt ihr?«
»Kreta. Südküste, wo wir immer hinfahren.«
Sie war fast beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit er darüber sprach. Sie selbst bekam Magenschmerzen. Das verwirrte sie. Eigentlich sollte auch sie mit Leichtigkeit darüber sprechen können.
»Haben wir beide nicht einmal davon gesprochen, zusammen wegzufahren?«, fragte sie, nippte an ihrem Wein und spürte, wie die Kraft zurückkam. Sie wiederholte die Frage.
Ståle sah auf die Tischplatte, lächelte peinlich berührt. »Das geht nicht, das verstehst du doch. Aber ich bin am Ersten zurück. Dann nehmen wir uns ein Wochenende.«
Er rief nach dem Kellner, der sich mit Notizblock und Bleistift neben sie stellte. »Ich nehme so einen Teller«, sagte Ståle , »Nummer vier.«
Der Kellner notierte und sah fragend zu ihr.
»Ich möchte nichts essen«, sagte sie.
Der Kellner machte sich die Mühe, ihr Wasser nachzuschenken, bevor er ging.
»Soll ich hier alleine essen?«, fragte Ståle ärgerlich.
Lena griff nach ihrer Tasche. »Ich muss nur mal kurz zur Toilette.«
Sie drängelte sich hinein und weiter zwischen den Tischen hindurch zum Klo. Dort blieb sie vor dem Spiegel stehen und betrachtete sich. Ein Haar am oberen Rand der rechten Augenbraue stand ab wie ein kleines Horn. Sie zupfte es aus. Betrachtete kritisch eine Falte über der Nasenwurzel. Versuchte, sie glatt zu streichen. Ohne Erfolg.
Zuhause in Lønnasjordet, wo sie aufgewachsen war, hatte in der Etage über ihnen eine hübsche, dunkelhaarige Frau gewohnt, die zweimal in der Woche Besuch von einem etwas älteren Mann bekam. In ihrer Familie wurde nie darüber geredet. Man redete nicht über seine Nachbarn. Diese Frau hatte einen englischen Setter gehabt, mit dem sie jeden Morgen spazieren ging. Beim Sonntagsfrühstück saß die Familie da und verfolgte die Frau mit den Blicken, bei Sonne und bei Regen. An einem Sonntagmorgen, als Gewitterdonner grollten und der arme Jagdhund widerwillig hinter seiner Herrin hertrottete, als wolle er eigentlich wieder nach Hause, hatte ihr Vater die Kaffeetasse an den Mund gehoben und bemerkt: »Es ruht eine majestätische Poesie auf der Einsamkeit der Geliebten.«
Lena hatte reagiert: »Eine klägliche, meinst du wohl?«
Ihr Vater hatte ihr zugelächelt und das Thema ruhen lassen. Er hatte nur witzig sein wollen. Ihr hatte die Gestalt leidgetan, die so verlassen wirkte, und sie konnte es nicht fassen, dass diese Frau die ewige Aufopferung aushielt.
Und jetzt stand sie selbst so da. Nein. Sie begegnete ihrem eigenen Blick im Spiegel und schüttelte den Kopf. Das tat sie nicht. Ganz und gar nicht! Sie verließ die Toilette. Aber statt zu Ståle zurückzukehren, ging sie nach rechts hinaus, zwischen Läden hindurch auf die andere Straßenseite. Als sie im Bus nach Hause saß, schickte sie Ståle eine SMS:
Schulde dir das Geld für eine halbe Flasche Wein. Werde es überweisen. Feriengeld. Gute Reise, Lena.
Sie lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und dachte: So schlecht ist das Leben doch gar nicht.
36
Frank Frølich wollte gerade aus der Tür gehen, als Rindal ihn aufhielt.
»Gute Arbeit, Frølich, also, die Studentin aus Kampala und die ganze Sache. Was Neues vom Kidnapper, der abgehauen ist?«
Frølich schüttelte den Kopf. Er kannte Rindal, und Rindal hatte sich nie wirklich für die junge Frau aus Afrika interessiert.
»Es wird ganz normal nach ihm gefahndet.«
Rindal nickte.
»Die beiden haben Videos gemacht«, sagte Frølich. »Beweismaterial gibt es genug.«
Rindal nickte unbeteiligt und sagte: »Was hältst du von Undset und Zahid? Hat Kadir Zahid was mit dem Mord zu tun?«
»Schon möglich, dass Veronika und Zahid eine Freundschaftsnummer geschoben haben, keine Ahnung. Hatte wohl zuerst den Eindruck, als ich sie verhaftet habe. Aber
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