Rein Wie Der Tod
Tussis Anfang zwanzig abfuhr, die ihre Silikonbrüste zur Konfirmation geschenkt bekommen hatten und sich nichts Cooleres vorstellen konnten, als bei einer Realityshow im Fernsehen Sex zu haben.
Dennoch siegte Lena. Sie ging nie westlich vom Akerselva essen. Die Ambitionen, in Kneipen cool aufzutreten, hatte sie genauso hinter sich gelassen wie ihre Pubertät. Auf dem Weg von der Brugata nach Grønlandsleiret lagen Restaurants mit internationalen Menüs zu erschwinglichen Preisen neben Narvesen-Kiosken, die Getränke und Serienromane über das Sexualleben norwegischer Bauernmädel verkauften. Hier standen die Leute Schlange vor internationalen Telefonzentralen, um so billig wie möglich mit Familie und Freunden am anderen Ende der Welt zu sprechen. Lena genoss es, ein Teil der Menge zu sein, die sich zwischen farbenfrohen Stadthäusern mit Einsprengseln fremder Architektur wie dem Minarett im Åkebergveien hindurchdrängelte. Das Einzige, was fehlte, um das exotische Ambiente zu vollenden, war der Ruf des Muezzins über die flachen Hausdächer.
Sie verabredeten sich im Restaurant Alibaba am Grønlandsleiret. Lena war früh dran und vertrieb sich die Zeit damit, ein bisschen auf der Straße hin und her zu laufen. Sie wusste, er kam immer mit Absicht eine Viertelstunde zu spät. Um Viertel nach stand er bei den Tischen auf dem Bürgersteig und hielt Ausschau nach ihr.
Er hatte immer ein wenig Angst, dass Kollegen sie sehen könnten, und wollte gern, dass sie so tun sollten, als wären sie zwei Arbeitskollegen, die sich zufällig in der Stadt trafen.
Aus purem Widerspruchsgeist setzte sie sich an einen der Tische an der Straße. Er wollte drinnen sitzen. Sie tat, als ob sie ihn weder hörte noch verstand und begann in der Speisekarte zu blättern. Schließlich wurden ein paar andere Gäste auf ihn aufmerksam und sahen ihn an. Erst dann setzte er sich hin.
In einer solchen Situation der Verlierer zu sein widerstrebte all seinen Instinkten. Als er sich beschweren wollte, reagierte sie schnell, sah ihm in die Augen und sagte geradeheraus: »Wenn du nicht mit mir essen willst, hier an diesem Ort, dann sei so gut und geh.«
Das provozierte ihn noch mehr, aber es war ihr egal. Sie tat, als wäre nichts gewesen und erklärte stattdessen, woraus die verschiedenen Gerichte bestanden. »Lahmacun ist eine Art Pizza, sehr lecker, besonders mit Lammfleisch.«
Ståle unterstrich noch einmal, dass er eigentlich ein Rindersteak essen wollte, und kommentierte ihre Ferienreisen in die Türkei: ob sie denn nicht im Grunde auf türkische Männer abfahre.
Sie überhörte die vulgäre Frage und erklärte ihm, es sei überhaupt kein Problem, hier Rindfleisch zu bekommen. Shish Kebab zum Beispiel.
Der Kellner kam. Ståle bestellte sofort einen halben Liter Bier. Sie bestellte eine halbe Flasche Rotwein. Santa Rita. Sie merkte, ihm missfiel auch das. Sie hatte ihn hart rangenommen, ihm mehrmals widerstanden. Wie würde er sich jetzt wohl rächen? Plötzlich erkannte sie, dass auch dieser Gedanke widerwärtig war. Und dann begriff sie endlich, was gerade geschah. Dies war ihr Abschiedsessen.
Zwei Frauen, die eine in einer schwarzen, die andere in einer blauen Burka, schoben ihre Kinderwagen an ihnen vorbei. Ein junges, eher westlich aussehendes Paar ging vorbei, die Hände voller Einkaufstaschen. Zwei Männer versuchten vergebens, Passanten Haschisch zu verkaufen. Sie hoffte, sie würden sich in Richtung Fluss verdrücken, bevor Ståle bemerkte, was da im Gange war.
»Warum sind wir eigentlich hierhergekommen?«, fragte er. »Wir hätten im Beach Club die Sonne genießen können.«
Die beiden kleinen Dealer verschwanden, als der Kellner mit den Getränken kam. Wein für sie und ein Glas Wasser. Ståles Bier ließ noch auf sich warten. Sie musste lächeln. Es war einfach nicht sein Tag.
Ein großer athletischer Typ in weißem Kittel und weißem Turban schlenderte vorbei. Sie schaute ihm nach.
Seine Augen sprühten Funken. »Nicht denken, Ståle «, sagte sie.
»Halt die Schnauze«, zischte er. »Diesen Satz von dir hab ich so was von satt.«
Sie lenkte ihn ab, indem sie den Kellner herüberwinkte. »Er wartet auf sein Bier«, sagte sie.
»Natürlich.«
Sie wechselten einen Blick. Nicht einmal das konnte er ertragen - dass sie die Initiative ergriff und Ordnung in das Chaos brachte.
Der Keller kam mit dem Bier. Schenkte ihr Wein nach. Die halbe Flasche war leer. »Noch eine?«
Sie sah zu ihm auf. Ein junger, hübscher Mann aus
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