Rein Wie Der Tod
sprach. Nahm Anlauf und begegnete seinem Blick. Er war eiskalt.
Da begriff sie. Die trockenen Lippen und seine Gesichtshaut waren nur eine Maske. Unter dieser Haut steckte eine andere Person und sah sie an. Und als habe dieser Unbekannte verstanden, was sie dachte, verschwand der stechende Blick, und zurück blieb ein Gesicht, das von Nachdenklichkeit und Ratlosigkeit geprägt war.
Sie hielt es nicht aus, so nah bei ihm zu stehen, und ging weiter.
Valeur ging nach wie vor provozierend dicht neben ihr.
Noch immer lagen einige standhafte Sonnenanbeter auf Decken im Sand, in Badehose oder Bikini, Badegäste, die den Sommertag, der eigentlich vorbei war, nicht loslassen wollten. Ein kleines Mädchen saß zitternd unter einem Handtuch, das ein Porträt von Michael Jackson schmückte, und kaute an einer Scheibe Brot.
Niemand badete mehr.
Die unangenehme Nähe des Mannes machte Lena schwitzen. Sie musste sich räuspern, damit ihre Stimme trug. »Wollen wir uns nicht auf eine Bank setzen?«, fragte sie und zeigte auf den Weg.
Als sie den Schotterweg erreichten, musste sie langsamer gehen. Die Steine stachen in ihre Fußsohlen. »Es ist lange her, dass ich barfuß gelaufen bin«, sagte sie entschuldigend.
Valeur ging an der nächsten Bank einfach vorbei.
Lena zögerte.
Er drehte sich um und zeigte auf die nächste. »Wir nehmen die da.«
Er fasste sie am Arm.
Sie riss sich los.
So standen sie da und maßen einander mit den Blicken. Da war sie wieder, die Eiseskälte, einen kurzen Moment lang, dann wurde das Gesicht wieder weich, und er sagte: »Entschuldigung, das war unbedacht von mir.«
Sie stand immer noch still, hielt den Blickkontakt und dachte: Dies ist ein öffentlicher Ort, hier gibt es Zeugen. Entspann dich.
Sie gingen weiter. Er sagte kein Wort. Die Stille vergiftete die Luft um sie herum, wurde so dicht und schwer, dass das Gehen und Atmen sie anstrengte.
Sie erreichten den Waldrand. Valeur steuerte auf eine Bank zu, die von hohen Büschen und zwei Felsen abgeschirmt wurde.
Jetzt ging er zwei Schritte vor ihr.
Der Wald um sie herum wurde dichter.
Sie tastete mit der rechten Hand nach ihrer Bauchtasche, suchte nach dem Griff des Reißverschlusses.
Er ging schneller. Sie ebenfalls. Wo war der verdammte Reißverschluss. Sie blieb stehen, fand ihn und zog ihn auf. Ihre Finger schlossen sich um das Handy.
Valeur drehte sich um. Sie sahen sich an.
Er nickte mit dem Kopf. »Komm!«
Sie schüttelte den Kopf.
»Komm, hab ich gesagt!«
Sie sagte zu sich selbst: Du hast das Handy in der Hand. Du bist fit. Es kann nichts schiefgehen, und du bist nah am Ziel, sehr nah.
Als er noch einmal mit dem Kopf nickte, schlug sie die Augen nieder und ging auf ihn zu.
»Es ist so erschreckend«, sagte er leise und murmelte dann etwas Unverständliches.
»Was haben Sie gesagt?«
»Es ist so erschreckend«, wiederholte Valeur laut, in scharfem Ton, als wäre er böse oder gekränkt. Sie suchte seinen Blick vergebens, während er schneidend fortfuhr: »Nicht der Betrug ist so erschreckend. Betrogen zu werden ist nur eine Seite des Ganzen, ein Verrat ist immer schlimm, aber ganz im Inneren wissen alle, dass man an dem Verrat nichts mehr machen kann - er ist passiert.«
»Sie brauchen nicht zu schreien«, sagte Lena.
»Wenn man von jemandem betrogen wird, den man liebt, ist man nicht selbst verantwortlich«, fuhr er im selben scharfen Fistelton fort. »Der Mensch, der betrügt, trifft die Entscheidung.«
Sie begegnete seinem Blick. Die Augen in seiner Maske hatten wieder ihren Charakter verändert. Sie erkannte, dass sie sich in Sicherheit bringen musste.
Als würde er spüren, was sie fühlte, fuhr er mit milderer Stimme und weicherem Tonfall fort: »Denken Sie daran, der Mann, den Sie verlassen möchten, trifft seine eigenen Entscheidungen. Aber er hätte diese Entscheidungen nicht ohne Sie treffen können, Lena. Sie sind ein Teil seiner Entscheidung, seine Entscheidungsgrundlage - haben Sie mal überlegt, was das bedeutet?«
»Nein.« Ihre Hand, die das Handy umklammerte, war feucht. Sie hielt sie auf dem Rücken und dachte plötzlich, dass er das längst bemerkt haben musste - ohne es zu kommentieren.
Jetzt war er es, der stehen blieb und sagte: »Also hören Sie zu ...«
Er kniete sich hin, verschob einen Stein und sah zu ihr auf. Sein Gesicht lächelte, aber es war kein wirkliches Lächeln. Es war die harte, unbekannte Person, die grinste, mit den Lippen einer Maske.
»Was mich vor mir selbst
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