Reine Glückssache
stecke?«, sagte ich. »Ganz in Ihrer Nähe. Hätten Sie noch mal ein paar Minuten Zeit für mich?«
»Selbstverständlich.«
Selbstverständlich, das war eine gute Antwort. Absolut positiv. Kein Anzeichen von Genervtheit. Kein lüsterner Unterton. Professionell. Andrew war meine beste Wahl.
Ich stellte meinen Wagen auf dem Parkplatz ab, betrat das Foyer und wurde umgehend in Andrews Büro gebeten. Noch mehr Glück: Kein Bart und kein Clyde, die mich aufhielten. Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder, Andrew gegenüber, und bedankte mich dafür, dass er sich Zeit für mich nahm.
»TriBro ist daran interessiert, dass Singh gefunden wird«, sagte er. »Wir profitieren doch von den Visumskautionen. Nur so kriegen wir doch Leute aus dem Ausland.«
»Haben Sie noch andere Mitarbeiter mit Arbeitsvisum?«
»Im Moment nicht, aber in der Vergangenheit schon. Außerdem muss ich Ihnen sagen, dass Singh nicht der Erste ist, der untergetaucht ist.«
Wie automatisch hoben sich meine Augenbrauen.
»Das ist nicht weiter verdächtig«, sagte Andrew. »Ich finde es sogar durchaus nachvollziehbar. Wenn ich mich in einer ähnlichen Situation befinden würde, ich würde auch untertauchen. Diese Männer kommen für drei Monate zum Arbeiten hierher und werden von der Möglichkeit, Erfolg zu haben, verführt. Alles ist plötzlich in greifbarer Nähe … Videoverleih, Hamburger, Designerjeans, ein neues Auto, Popcorn aus der Mikrowelle und tiefgefrorene Waffeln. Ich habe Verständnis für ihre Flucht, aber für TriBro bedeutet das ständigen Ärger. Wenn das so weitergeht, können wir in Zukunft keine Leute mit Arbeitsvisum mehr einstellen. Das wäre schade, denn das sind sehr gute Leute für Zeitverträge.«
»Singh muss doch ein paar Freunde auf der Arbeit gehabt haben. Die würde ich gerne mal sprechen.«
Einige Takte Schweigen, die Andrew Cone uns aussitzen ließ, sein Blick hielt dem meinen stand, seine Gedanken blieben undurchsichtig, sein Gesichtsausdruck skeptisch.
»Wir könnten Sie als verdeckten Ermittler in den Betrieb einschleusen«, sagte er schließlich. »Ich könnte Ihnen einen Tag lang Singhs Job überlassen. Wir haben noch keinen Ersatz gefunden.«
»Ich weiß ja nicht einmal, was Sie hier eigentlich produzieren.«
»Kleine Teile. Von Werkzeugmaschinen hergestellte Getrieberäder und Sperren. Singhs Arbeit bestand hauptsächlich darin, geringste Abweichungen zu messen. Jedes Teil, das wir ausliefern, muss absolut perfekt sein. An Ihrem ersten Tag hier an Bord wird man noch nicht viel von Ihnen erwarten.« Er griff nach dem Telefonhörer, und sein Mund verzog sich zu einem schmalen Lächeln. »Bin mal gespannt, wie gut Sie bluffen können.«
Zehn Minuten später war ich ein echter TriBro-Techer-Simulant, folgte Andrew auf Schritt und Tritt und erfuhr alles über TriBro Tech. Die Getrieberäder und Sperren, die den Hauptanteil der Produktpalette ausmachten, wurden an Fertigungsplätzen hergestellt, die in einem lagerhallenartigen Gebäude, direkt angrenzend an die Empfangshalle und die Büros, untergebracht waren. Im hinteren Teil der Halle war ein langer Raum abgetrennt, dort fand die Qualitätskontrolle statt. Durch Fenster konnte man in das Innere der Halle sehen. Fenster nach draußen gab es in der gesamten Fabrik keine. Der Arbeitsbereich der Qualitätskontrolle bestand aus einer Reihe Kabinen mit fest installierten Tischen, Regalen und Schränken. Auf den Tischen häuften sich Ansammlungen von Gewichten, Maßen, maschinellen Folterinstrumenten und Chemikalien. Je ein Mitarbeiter bediente einen Tisch. Es gab sieben Mitarbeiter in dem Bereich Qualitätskontrolle. Ein Tisch war unbesetzt, Singhs Tisch.
Andrew stellte mich der Bereichsleiterin Ann Klimmer vor und kehrte zurück in sein Büro. Ann führte mich von Tisch zu Tisch und machte mich mit den übrigen Mitgliedern des Teams bekannt. Die Frauen waren um die dreißig, vierzig Jahre alt. Es gab zwei Männer, einer davon ein Asiate. Singh hätte wohl eher zu dem Asiaten tendiert, überlegte ich, aber ich würde sicher schneller mit den Frauen warm.
Nachdem man sich vorgestellt hatte und nach einer einleitenden Erläuterung des Betriebsablaufs, wurde ich Jane Locarelli zugewiesen. Jane sah aus, als wäre sie gerade vom Einbalsamiertisch auferstanden. Sie war Ende vierzig, streichholzdürr und leichenblass. Sie redete mit einer monotonen Stimme, vermied jeglichen Blickkontakt und verschluckte viele Silben, als würde die Anstrengung des Sprechens sie
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