Reine Glückssache
dazu da, meinen Leib zu bewachen«, sagte ich zu Ranger.
Ranger sah mich finster an. »Jetzt bin ich an der Reihe, deinen Leib zu bewachen, Babe.«
Oh, Mann.
Seit ich denken kann, habe ich ein Faible für Abenteuergeschichten, und ich liebe wahre Helden. Wahrscheinlich trifft das auf alle Kinder zu, vielleicht sogar auf alle Erwachsenen. Meine beste Freundin Mary Lou Molnar und ich haben uns als Kinder immer in Rollen hineinfantasiert. Ich war Snake Eyes aus der Serie
GI Joe,
Inspektor Gadget oder Han Solo. Ich stürmte durch Nachbars Garten mit dem Schlachtruf
Thundercats, ho!
Hinter mir her lief Mary Lou, die sich als Smurfette, Wendy Darling oder Marcia Brady ausgab. Mary Lou hatte schon immer ein sicheres Gespür für Geschlechterrollen und für ihre eigenen Fähigkeiten. Mary Lous Fantasie deckte sich eher mit ihrer eigenen Wirklichkeit. Ich dagegen habe die Wirklichkeit nie mit der Fantasie in Einklang bringen können. Im Geist bin ich immer noch Snake Eyes. In Wahrheit stehe ich Lucy Ricardo viel näher. Ich besitze nicht viele Talente, vor allem nicht die, die man im Kampf gegen das Verbrechen eigentlich haben sollte. Ich kann nicht gut mit Waffen umgehen, und ich habe mir nie die Zeit genommen, mal einen Kurs in Selbstverteidigung zu belegen. Ein schmales Stück Schlangenleder mit einer goldenen Schnalle ist der einzige schwarze Gürtel in meinem Kleiderschrank.
»Was hast du über Bart Cone herausgefunden?«, fragte ich Ranger. »Stapeln sich bei ihm zu Hause die Rechnungen für Blumensträuße? Fotos von ermordeten Frauen? Menschliche Gliedmaßen in Tiefkühltruhen?«
»Nichts von alldem. An Möbeln hat er nur eine Minimalausstattung. Bett, Stuhl, Tisch, Schreibtisch. Keinen Computer auf dem Schreibtisch. Keinen Fernseher. Neben dem Bett liegen zwei Bücher.
In eisige Höhen,
der Bestseller von Jon Krakauer. Und ein technischer Katalog. Es sah nicht so aus, als hätte er
In eisige Höhen
auch nur angelesen. Der Buchrücken war noch an keiner Stelle geknickt.«
»Seine Frau hatte wohl einen guten Scheidungsanwalt.«
»In seinem Kühlschrank sind nur die nötigsten Lebensmittel. Und der Spiegelschrank in seinem Badezimmer ist voller Antidepressiva und Schlaftabletten.«
»Glaubst du, dass er verrückt ist?«
»Ich glaube, er hat kein Privatleben. Ich glaube, er lebt nur für seinen Job.«
»So wie wir.«
Ranger sah zu mir herüber. »Du hast doch ein Privatleben. Du kaufst dir Schuhe. Du isst Butterscotch Krimpets. Du hast einen Hamster, du besitzt eine Hälfte an einem Hund, ein Drittel an einem Polizisten. Und du hast eine schräge Familie.«
»Glaubst du, dass ich Morelli nur zu einem Drittel besitze?«
»Ich glaube, du hast so viel, wie er momentan überhaupt einem Menschen geben kann.«
»Und was ist mit dir?«, fragte ich. »Wie viel kannst du geben?«
Ranger richtete den Blick auf die Straße. »Du stellst aber viele Fragen.«
»Das kriege ich oft zu hören.«
Es war fast halb sechs, als wir zu dem Apartmenthaus in der Market Street kamen. Ranger bog in die Einfahrt und parkte an der Rückseite des Gebäudes. Wir gingen durch den Hintereingang, hinauf in den ersten Stock. Vor der Tür von Carl Rosen blieben wir stehen und schellten. Keine Antwort. Ranger ging den Flur entlang und schellte bei 2A. Eine Frau, um die fünfzig, machte auf und spähte hinaus.
»Wir wollen zu Carl Rosen«, sagte Ranger. »Sie haben ihn nicht zufällig gesehen, oder?«
»Nein«, sagte die Frau. »Ich habe ihn nicht gesehen, aber normalerweise kommt er um die Zeit nach Hause. Entschuldigung.«
Die Frau verzog sich wieder in ihre Wohnung. Die Tür schloss sich, und drei Schlösser rasteten ein. Ranger trat ein paar Schritte von der Tür zurück, rief Tank an und bat ihn, die wichtigsten Daten über Carl Rosen einzuholen. Drei Minuten später trudelten die Informationen ein. Carl Rosen, ledig, arbeitete im Krankenhaus, fuhr einen blauen Honda Civic, Baujahr 1994. Tank hatte noch Rosens alte Adressen und Arbeitgeber und eine Liste seiner Verwandten angefügt. Ranger legte auf und schellte noch einmal bei Rosen. Als niemand öffnete, schob er ein Miniwerkzeug in das Schloss und knackte die Tür. Ich musste draußen bleiben und Schmiere stehen, Ranger verschwand in der Wohnung.
Zehn Minuten später tauchte er wieder auf und schloss die Wohnungstür ab. »Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in so kurzer Zeit in so viele Wohnungen eingebrochen bin und kaum was gefunden habe«, sagte er. »Nicht mal einen
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