Reine Glückssache
Mutter wird sterben. Traurig. Traurig. Das habe ich in meiner Vision gesehen.«
Ich biss mir auf die Unterlippe. Meine armen kleinen Bambini!
»Keine Angst«, sagte Bella zu mir. »Sie sind nicht gemeint. Die Frau in meiner Vision war blond.«
11
Joe trank noch mehr Wein und legte mir seinen Arm um die Schultern. »Wenigstens bist du nicht die tote Frau in der Vision.«
Mrs. Morelli warf ein Brötchen nach ihm und traf ihn am Kopf. »Wie kann man nur so etwas Blödes zu einer Frau sagen. Manchmal bist du genauso wie dein Vater.« Sie bekreuzigte sich und sah zerknirscht aus. »Friede seiner Asche.«
Alle anderen Gäste bekreuzigten sich ebenfalls, mit Ausnahme von Joe. »Friede seiner Asche«, wiederholten sie.
»Und du«, sagte Mrs. Morelli zu ihrer Schwiegermutter, »du hörst endlich auf mit deinen Visionen.«
»Ich kann doch nichts für meine Visionen«, sagte Grandma Bella. »Ich bin nur ein Werkzeug Gottes.«
Noch mehr Bekreuzigungen, und Onkel Mario murmelte irgendwas von einem
teuflischen Weib
oder so.
Bella wandte sich an Mario. »Pass auf, was du sagst, alter Knabe. Sonst kriegst du meinen bösen Blick ab.«
Die Tischgesellschaft verstummte. Den bösen Blick abkriegen wollte niemand. Der böse Blick war italienischer Voodoozauber.
Während dieses Zwischenspiels hatte Mary Elizabeth drei Gläser Wein verputzt. »Ich bin gerne auf Partys«, sagte sie, verschluckte einzelne Silben und schielte. Sie erhob ihr Glas. »Auf mich!«
Wir alle erhoben unsere Weingläser. »Auf Mary Elizabeth!«
Nachdem wir uns mit Hühnchen in Tomatensoße, Fleischbällchen und Makkaroniauflauf voll gestopft hatten, holte Mrs. Morelli den Nachtisch hervor. Tellerladungen italienischer Kekse aus der People’s Bakery, frische, gefüllte Cannoli von Panorama Musicale, diverse Käsesorten von Porfirio’s und die Geburtstagstorte aus Little Italy.
Mittlerweile war es drückend schwül im Esszimmer der Morellis. Die Fenster standen sperrangelweit offen, und Mrs. Morelli hatte einen Ventilator aufgestellt, um die Luft aufzuwirbeln. Schweiß lief mir die Brust hinunter und tränkte mein Oberteil. Mein Haar klebte am Schädel, und die angebliche Wasserfestigkeit meiner Wimperntusche blieb leider nur ein Versprechen der Kosmetikindustrie. Die Hitze schien niemandem etwas auszumachen. Alle, außer Joe und seiner Mutter, waren knülle, ich auch.
Die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen wurden angezündet, was die Zimmertemperatur noch einmal um einige Grade in die Höhe trieb. Wir sangen »Happy Birthday«, Mary Elizabeth blies die Kerzen aus, und Mrs. Morelli schnitt den Kuchen an.
Grandma Bella schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und warf den Kopf in den Nacken. Eine Vision überkam sie.
Die Gäste am Tisch stöhnten.
»Ich sehe den Tod«, sagte Grandma Bella. »Eine Frau.«
Noch mehr Gestöhn am Tisch.
»Ich sehe weiße Nelken.«
»Musst dir nichts bei denken, Honey«, flüsterte Morelli mir ins Ohr. »Weiße Nelken kommen bei ihr immer vor.«
»Was ist mit der Frau, die gestorben ist?«, fragte ich Grandma Bella. »War die blond?«
Grandma Bella schlug die Augen auf und sah mich an.
»Sie hat brünette Locken«, sagte Bella. »Schulterlanges Haar.«
Das war meine Frisur. Nur gut, dass ich viel zu betrunken war.
»Das war meine Vision«, sagte Bella. »Und jetzt bin ich müde. Ich muss mich hinlegen.«
Nach ihren Visionen überfiel Bella immer große Müdigkeit.
Wir sahen ihr nach, wie sie sich vom Tisch erhob und die Treppe hochging.
»Herr im Himmel«, sagte Mary Elizabeth. »Sie kann einen wirklich runterziehen.«
Wir bekreuzigten uns alle und fielen über den Nachtisch her.
Morelli verfrachtete mich in seinen Truck und fuhr mich zu sich nach Hause. Dort angekommen, zog er mich aus dem Wagen und lehnte mich gegen die Beifahrertür. »Wenn du dich übergeben musst, dann lieber hier«, riet er mir. »Es soll regnen. Dann wird es weggespült.«
Ich überlegte einen Moment lang und beschloss, mich doch nicht zu übergeben. Vielmehr tat ich einen Schritt nach vorne und fiel auf die Knie. »Hoppla«, sagte ich. »Die Bordsteinkante war im Weg.«
Morelli hievte mich hoch, schulterte mich kurzerhand und trug mich ins Haus, die Treppe hinauf. Ich plumpste auf Morellis Bett und stellte einen Fuß auf den Boden auf, um den Schwindel anzuhalten. »Willst du Sex?«, fragte ich.
Morelli grinste. »Ich glaube, das möchte ich lieber auf später verschieben. Ich habe immer noch die Befürchtung, dir könnte
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