Reine Glückssache
Tätigkeit der Finger könnte aufhören.
Natürlich war die Sorge unberechtigt. Seit unserem ersten Tete-a-tete hinter der Eclairtheke der Tasty-Pastry-Bäckerei hatte Morelli viel dazugelernt.
»Na«, sagte Morelli, als wir fertig waren, »willst du als Erste unter die Dusche?«
Ich lag bäuchlings auf dem Bett, mein Herzrhythmus war bei ungefähr zwölf Schlägen in der Minute angelangt, und ich befand mich in einem Zustand euphorischer, geifernder Zufriedenheit. Kann gut sein, dass ich wie eine Katze schnurrte. »Geh nur«, sagte ich. »Lass dir Zeit.«
Morelli taperte nach unten in die Küche und setzte Kaffee auf, bevor er im Badezimmer verschwand. Nach wenigen Minuten drang der Kaffeeduft in mein postkoitales Glühen. Ich drehte mich zur Seite, stieg aus dem Bett, zog ein Paar Shorts und ein T-Shirt an und folgte den Schwaden der Kaffeemaschine. Erst goss ich mir einen Becher ein, dann stiefelte ich zur Haustür, um die Zeitung zu holen.
Auf der Zeitung lag eine in Zellophan eingewickelte rote Rose und eine weiße Nelke. Das war das Ende meiner Euphorie. Ich schaffte alles ins Haus und schloss die Tür. Die Blumen ließ ich auf der Anrichte liegen und öffnete den weißen Umschlag, der zwischen den Blumen steckte. Der Umschlag enthielt eine Grußkarte mit folgender Nachricht:
Sind Sie froh, dass ich Sie verschont habe? Dass ich Sie für mich persönlich aufgehoben habe? Wird Ihnen ganz heiß, wenn Sie an mich denken, an alles, was ich für Sie getan habe? Ich hätte Sie gestern Abend töten können. Ich hätte Sie auch neulich mit dem Betäubungsgewehr töten können. Aber das wäre zu einfach gewesen. Ihr Tod muss sich für einen Jäger lohnen.
Unterzeichnet war die Karte mit
Hochachtungsvoll.
Im Umschlag steckte noch eine Haarsträhne von mir, zusammengebunden mit einer schmalen rosa Seidenschleife.
Ich bekam eine Gänsehaut, und ein Frösteln zerriss mir den Bauch. Der Schock war nur von kurzer Dauer, und ich gab mich wieder tapfer. Wenigstens hat sich jetzt das Geheimnis um meine fehlenden Haarbüschel gelüftet, sagte ich mir.
Ich saß mit meinem Kaffeebecher und der Karte in der Hand im Wohnzimmer, da kam Morelli die Treppe herunter. Er war frisch geduscht, das Haar noch feucht. Er trug Jeans und Boots und ein schwarzes T-Shirt, und wenn ich nicht gerade eben den Hyperorgasmus erlebt hätte, ich wäre über Morelli hergefallen und hätte ihn zurück ins Bett gelockt.
»Ich habe die Blumen auf der Anrichte liegen sehen«, sagte er.
Ich gab ihm die Karte. »Die lagen heute Morgen vor der Haustür. Auf der Zeitung. Der Webmaster ist also bei Tagesanbruch hier vorbeigekommen. Vielleicht hat ihn jemand gesehen.«
»Der traut sich ja was!«, sagte Morelli. »Er sonnt sich in seinem Erfolg, und das wird ihn eines Tages unvorsichtig machen.«
»Wie schön für mich.«
»Ich werde die Nachbarn befragen.« Morelli las sich die Karte durch. »Der Mann ist echt krank«, sagte er.
Ich duschte und versuchte mein Möglichstes, um die Katastrophe auf meinem Kopf zu verdecken, strich das Haar hinter die Ohren, betonierte es mit reichlich Haarspray. Ich musste zum Friseur, so schnell wie möglich – aber wie sollte ich mir die Haare schneiden lassen? Keine Ahnung. Ich betrachtete mich im Spiegel. Vielleicht Haarverlängerung? Haartransplantation?
Morelli telefonierte, als ich nach unten kam. Er schaute auf die Uhr und beendete das Gespräch. Morelli war einsatzbereit. Der Tag hatte ohne ihn angefangen. So was passiert einer Sexbestie schon mal.
»Ich habe gerade mit Ed Silver gesprochen«, sagte Morelli. »Der Bericht der Polizeitechniker ist jetzt da. Die konnten einige E-Mails auf Singhs Computer wieder herstellen. Und die bestätigen, was du gestern Abend schon erfahren hast. Dass es fünf Spieler und einen Webmaster gab. Wir wissen, dass Fisher Cat als Letzter übrig geblieben ist. Fehlt uns also noch ein toter Spieler.«
»Weiß man, wie das Spiel läuft?«
»In einer der E-Mails werden die Regeln festgelegt. Der Webmaster leitet das Spiel. Die Spieler benutzen ausschließlich ihre Spielernamen und können nur über den Webmaster miteinander kommunizieren. Der Webmaster kennt also alle. Er streut Hinweise über die Identität der Mitspieler aus und dann kann die Jagd beginnen. Von Anfang an wissen alle Mitspieler, dass am Ende des Spiels nur einer übrig bleiben wird. Und sie wissen auch, dass man nicht mehr aussteigen kann, sobald das Spiel einmal in Gang ist. Aussteiger sind zum Abschuss
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