Reinen Herzens
jedenfalls nicht erklären. Vermutlich hatte der alte Mann auf diese schreckliche Weise die Geschichte zu Ende bringen wollen. Sich aufzulösen versucht in Schall und Rauch. Asche zu Asche. Sie dachte daran, wie er sich von Hermiona verabschiedet hatte. Es hatte nicht nach einem endgültigen Abschied ausgesehen, aber sie hatte die beiden allein gelassen dafür, wusste also nicht, was der alte Mann seiner Enkelin gesagt haben mochte. Sie hätte darauf bestehen sollen, dass auch er mit zu Valeska kam.
»Er hat es mir gesagt«, flüsterte Hermiona.
»Was hat er dir gesagt?« Sie bemühte sich, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Er sagte, er würde über mich wachen. Immer. Ich solle mir keine Sorgen machen.« Hermiona zog ein Blatt Papier aus ihrer Hosentasche, entfaltete es und betrachtete es nachdenklich. »Das hat er mir auch gegeben. Damit ich weiß, wer ich wirklich bin.« In ihren Augen glitzerten Tränen. »Er sagte, Oma habe es ihm gegeben, bevor sie gestorben sei. Er sollte es verbrennen, damit mich niemand von ihm wegholen kann. Sie hatte es von der Frau. Aber er meinte, das sei nicht recht. Er sei zu alt und zu müde und zu krank, er würde schon sehr bald sterben. Und ich müsste doch wissen, wer ich bin.« Die Tränen liefen ihr über die schmalen Wangen. »Aber meine Mutter ist auch tot. Sie war die Frau, die … Und jetzt habe ich niemanden mehr. Ich hasse das Feuer. Aber ich glaube, ich verstehe ihn.«
Die Verzweiflung, die aus den Worten des Mädchens sprach, brach Agáta fast das Herz. Aber in gewissem Sinne verstand sie auch die Handlungsweise des alten Mannes. Grausam, wie sie war. Es war das Ende einer Kindheit, aber vielleicht auch der Anfang zu einem neuen, besseren Leben. Hoffentlich, dachte sie, wenn man nur dafür sorgen könnte, dass Hermiona nicht in einem Waisenhaus endete.
Das Mädchen reichte Agáta das Blatt. Es war, wie diese überrascht feststellte, keine Geburtsurkunde, sondern ein Totenschein für ein totgeborenes Kind. Ihr Blick wanderte über die Urkunde, langsam, Zeile für Zeile, blieb an den Angaben zu den Eltern des Kindes hängen. Die Mutter war Irena Kafková, geborene Veselá. Der Name des Vaters lautete …
»Guten Morgen, Agáta. Hermiona.« In der Tür stand David Anděl, hinter ihm eine junge Frau.
Agáta sah erschrocken auf. Sie hatte über dem Totenschein gar nicht gehört, dass jemand hereingekommen war. »Schön, dass Sie so schnell kommen konnten … Martin.«
»Das ist Larissa. Sie ist eine gute Freundin«, stellte er die Reporterin vor, dann ging er hinüber zu Hermiona, die in einem Sessel saß, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr. »Es tut mir schrecklich leid, Hermiona. Ich möchte dir gerne helfen, wenn ich darf. Erzählst du mir, was passiert ist?«
Ein Handy klingelte. Larissa fischte es aus ihrer Jackentasche, entschuldigte sich und ging hinaus.
Hermiona sah ihn lange mit großen, nachdenklichen Augen an, dann wischte sie sich energisch die Tränen von den Wangen. »Gut. Aber erst will ich wissen, wer Sie wirklich sind«, sagte sie misstrauisch, »denn Sie sind nicht Martin Trojan, und dieser Viktor Sowieso sind Sie auch nicht. Sie sehen nur so aus. Ein bisschen jedenfalls, wenn man nicht so genau hinschaut. Wer sind Sie?«
Agáta senkte den Kopf und lächelte, jetzt würde also gleich das Inkognito platzen, dank der Aufmerksamkeit eines kleinen Mädchens. Ihr Blick fiel auf die Urkunde in ihren Händen. Der Name der Mutter, ja, da war sie vorhin stehen geblieben …
»Mein Name ist David Anděl. Ich bin …«
Agáta sah verblüfft auf.
Hermiona starrte den Kommissar an, wie ein Gespenst. Es war totenstill im Raum. David sah verwirrt von Hermiona zu Agáta und zurück. »Du musst mir das natürlich nicht glauben, aber ich kann es beweisen. Larissa kann es bestätigen, sie kennt mich schon lange. Und Agáta auch … Es ist eine lange, komplizierte Geschichte …«
»Das ist jetzt nicht wichtig«, sagte Hermiona entschieden, »das können Sie mir später erzählen. Jetzt will ich erst ein paar andere Sachen wissen. Was sind Sie von Beruf?«
»Ich bin Kriminalkommissar, das ist ein Polizist, der …«
»Ich weiß, was das ist. Sind Sie ein guter Polizist?« Das Misstrauen in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
David lächelte. »Nun, ich denke schon …«
»Er ist einer der besten«, mischte sich Agáta ein, »ich verbürge mich dafür.«
»Gut. Wenn Agáta das sagt, vertraue ich Ihnen. – Kannten Sie eine
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